Jugendkultur ohne Strahlkraft: Die große HipHop-Depression
Fast alle Rapstars brachten 2009 neue Alben heraus. Dock künstlerisch stagnierte das HipHop-Genre.
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HipHop ist tot - mal wieder. Alle Jahre wieder wird das Ende der größten Jugendkultur der Welt verkündet. Doch 2009 könnte sich der Abgesang bewahrheitet haben, den jüngst die Popkritiker Sasha Frere-Jones und Simon Reynolds in ihren Blogs angestimmt haben.
HipHop, so ihr Tenor, stagniere. Nach über 20 Jahren der Dominanz in den Charts und auf der Straße habe die Musik als Ausdruck des Zeitgeists ausgedient. Dabei brachten fast alle Rapstars dieses Jahr neue Alben heraus: Eminem, Jay-Z, 50 Cent - mehr vom selben. Was davon beim deutschen Publikum hängen blieb, sind allenfalls ihre Auftritte bei Stefan Raab gewesen. Die unvergesslichsten HipHop-Momente 2009 waren folglich nicht musikalischer Art, sondern fanden auf Preisverleihungen statt: Eminem in Brünos Poritze und Kanye West als Vollidiot bei den MTV Awards. 50 Cent verbündete sich derweil mit Bette Midler.
Im Windschatten von Kanye West konnten sich zwar neue Talente wie Kid Cudi und Drake an Indie-Introspektion beziehungsweise Schwiegersohnqualitäten abarbeiten - ohne jedoch die Strahlkraft ihres Vorbilds zu erreichen. Der marsianische Giftzwerg Lil Wayne hätte der Rapper-Typologie eine frische Facette hinzufügen können. Doch das angekündigte Rockalbum blieb er schuldig.
Moment mal, mögen Rucksackträger jetzt einwenden. Was ist mit dem Mixtape-MC, der auf einem verschollenen Beat des verstorbenen Produzenten J Dilla die Ära von De La Soul aufleben lässt? Wenn die Rede von den Neunzigern als dem vermeintlich goldenen HipHop-Jahrzehnt mitterweile genauso abgeschmackt ist wie die Verherrlichung der Siebziger im Reggae, dann ist J Dilla ihr Bob Marley.
Mos Def gönnte allen wahren Fans - darunter erstaunlich viele Feuilletonisten - einen Anlass für rechtschaffene Raprezeption. Geht doch noch: HipHop als Sprachrohr der Unterdrückten. Nur interessiert das die Nachfahren der Sklaven so überhaupt nicht, wie die Klingeltoncharts belegen. Hier hatten die 18-jährigen New Boyz die Nase vorn. Das Duo aus Kalifornien hat den regionalen Tanztrend "Jerking" losgetreten - in nur wenigen Wochen aufgesogen, standardisiert und ausgespuckt von der Industrie.
So bleibt Rap zwar der Sound, der aus den Handys plärrt. Lokale Spielarten schießen weiter aus dem Boden wie Pilze. Aber das Zentrum ist weggebrochen. Und damit ist auch die Zeit der Klassiker vorbei. Das Publikum kann sich nicht mehr entscheiden, wie noch zu Zeiten von "Thriller". Angesichts des Todes von Michael Jackson wurde es erst recht still im HipHop. Mit Rap konnte der King nichts anfangen. Sein Abstieg begann nicht umsonst mit dem Aufstieg von HipHop. Jacksons Songs waren populär, weil sie davon handelten, jemand anderes zu werden. In den Neunzigern wurden sie von den Allmachtsfantasien aus dem HipHop weggefegt.
20 Jahre später erlahmen nun auch die großen HipHop-Erzählungen. Was wollen Rapper auch noch werden, wenn ihnen die Finanzkrise die letzte Legitimationsgrundlage geraubt hat? Wenn ein Afroamerikaner Präsident geworden ist? Gangster jedenfalls nicht mehr - auch in Deutschland nicht: Aggro Berlin hat dichtgemacht. Was bleibt, sind Methoden und Haltung von HipHop. Die haben die gesamte Popkultur durchdrungen. Bloß rappen muss dazu keiner mehr.
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