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Jugendgewalt-DebatteDie kleine Peitsche für Jugendliche

Teile der migrantischen Community finden Erziehungscamps für jugendliche Gewalttäter sinnvoll - ähnlich wie Hessens Ministerpräsident Koch. Vor allem müssten aber Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten deutlich verbessert werden.

Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) hat die Debatte über Erziehungscamps für straffällige Jugendliche scharf verurteilt und der Integrationsbeauftragten des Bundes, Maria Böhmer (CDU), NPD-Nähe vorgeworfen. Die derzeitige Diskussion entfremde die Mehrheitsgesellschaft und die Migranten weiter voneinander, so TBB-Sprecher Safter Cinar.

Doch innerhalb der türkischen Community stößt der Wahlkampfhit des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) auf längst nicht so brüske Ablehnung. Nicht nur die migrationspolitische Sprecherin der Grünen, Bilkay Öney, befürwortet mehr intensivtherapeutische Jugendeinrichtungen (siehe Text oben), auch die Türkisch-Deutsche Unternehmervereinigung Berlin-Brandenburg (DTU) kann sich Erziehungscamps als pädagogisches Element vorstellen: "Wenn sie Jugendlichen eine Perspektive eröffnen, würden wir auch solche Einrichtungen unterstützen", sagte der Generalsekretär der DTU, Ahmet Ersöz.

Der selbstständige Sozialwissenschaftler favorisiert jedoch vor allem Maßnahmen, die verhindern, dass Jugendliche überhaupt zu Straftätern werden. "Gewalt ist nicht per se ein Problem von Migranten, sondern ein Unterschichtenproblem." Wer sich nicht artikulieren könne, werde schnell handgreiflich. Viele Kinder sprächen weder richtig Deutsch noch Türkisch. Ersöz plädiert dafür, beide Sprachen intensiv zu unterrichten: "Es wirkt identitätsstiftend für Jugendliche, wenn sie erleben, dass ihre Muttersprache nicht mehr verpönt ist."

Auch die beruflichen Chancen für Jugendliche mit Migrationshintergrund müssten verbessert werden, so Ersöz. "Viele werden auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt diskriminiert." Es gebe türkische Unternehmer, die Jugendliche ohne Schulabschluss ausbildeten. Das solle ausgebaut werden. Es könne aber nicht sein, dass sich nur türkische Unternehmer um problematische Jugendliche kümmern. "Das ist Aufgabe des Staates."

Auch die stellvertretende Vorsitzende des türkischen Elternvereins, Tülay Usta, hält es für geboten, verstärkt im Vorfeld zu handeln. Sie fordert, Kinder getreu dem Pilotprojekt Gemeinschaftsschule länger gemeinsam lernen zu lassen. "Die Selektion nach der 6. Klasse führt dazu, dass viele Kinder durchs Netz fallen", sagt Usta.

Bei der Erziehung ihrer Kinder dürften Eltern nicht allein gelassen werden. "Die Familienstrukturen haben sich verändert, ein arbeitsloser Vater wird als Familienoberhaupt nicht richtig ernst genommen." Oft funktioniere die Vermittlung von Werten und Verhaltensregeln nicht mehr. Der türkische Elternverein erarbeite gegenwärtig ein spezielles Fortbildungsprogramm für Eltern. ANNA LEHMANN

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