Jugend und Protest: Die verkannte Generation
Die heutige Jugend ist nur angepasst und politisch desinteressiert? Unsinn - sie ist um viel mehr besorgt als nur um Privates und Karriere. Wer will, kann das auch erkennen!
„Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“ So urteilte schon Aristoteles, einer der größten Denker des Abendlandes – was sein Eleve Alexander der Große vollbrachte, ist hinlänglich bekannt. Doch obwohl man meinen sollte, dass die Menschheit in den letzten 2.000 Jahren vernünftiger geworden ist, lässt sich auch die Elterngeneration im 21. Jahrhundert regelmäßig dazu verleiten, die ach so verdarbte „Jugend von heute“ pauschal als nichtsnutzige Trottel zu verurteilen.
Den letzten Akt dieses unzeitgemäßen Schauspiels brachte Jens Jessen vor einigen Monaten auf die Bühne. Im zentralen Lehrer- und Elternorgan Zeit diffamierte er die Jugend als „traurige Streber“. Es ist ein altbekanntes Muster der Älteren, so ihre eigene Jugend zu glorifizieren, auch heute noch: Damals, in der goldenen Ära der Studentenproteste, war die Jugend der harte Macker. Ein bisschen unverschämt, ein bisschen aufsässig, immer kantig. Es gehörte fast schon zum guten Ton, in Sit-Ins und Demonstrationen gegen verkrustete Gesellschaftsstrukturen, eine überkommene Sexualmoral und das System im Allgemeinen zu protestieren.
Dagegen bieten heutige Teens, Twens und jung gebliebene Thirtysomethings einen traurigen Anblick: Sie haben beste Manieren, können Auslandsaufenthalte, Sprach- und EDV-Kenntnisse vorweisen und sind laut Jessen schuld an der „Vernichtung von Arbeitsplätzen“ sowie der „Verblödung der Künste“. Da ist es schon berechtigt, sich um den Fortbestand des Abendlandes zu sorgen.
Doch sind die Jugendlichen heute wirklich derart apathisch und egoistisch, wie so oft zu hören ist? Sich mit einem simplen „Ja“ oder „Nein“ zufrieden zu geben ist natürlich verführerisch, würde der Problematik aber nicht gerecht werden. Deshalb geht es hier auch nicht darum, die Jugend des 21. Jahrhunderts als verkannte Rebellen darzustellen, es soll einfach ein realistischeres Bild gezeichnet werden. Denn Protestkultur hat sich, wie die Gesellschaft im Allgemeinen, erheblich gewandelt.
Das äußere Erscheinen des Protestierenden beispielsweise ist heute nicht mehr zwangsläufig durch Unangepasstheit gekennzeichnet. Dass klassische Zeichen der Gegenkultur wie lange Haare, Tattoos oder Nietengürtel vom Mainstream längst vereinnahmt wurden, bedeutet noch lange nicht, dass die Rebellion damit vorbei wäre. Sven Giegold etwa, der Mitbegründer des Netzwerkes Attac, sieht nicht eben gefährlich aus - seine Aktionen haben aber durchaus soziale Sprengkraft.
Protest äußert sich heute in einer anderen, subtileren Weise. Die Jugend hat inzwischen gelernt, dass einer zunehmend komplexer werdenden Welt nicht mit einfachen Antworten begegnet werden kann. Statt also großspurig das gesamte System zu bekämpfen, will sie pragmatisch kleine Ausschnitte der Realität verändern. Sie konsumiert zum Beispiel lieber bewusst, als sich dem Markt komplett zu verweigern. Wie erfolgreich die Konsumsteuerung ist, beweist die inzwischen gewachsene Palette regionaler Produkte - selbst in Discountern.
Vor allem die neuen Medien haben die Protestkultur stark beeinflusst. Ein Internet-Blog ist schneller eingerichtet als eine Demo organisiert und erreicht oft sogar mehr Menschen. Die Datenschützer vom Chaos Computer Club sind nicht omnipräsent, machen aber erfolgreich auf Sicherheitslücken im Internet aufmerksam, indem sie beispielsweise Wahlcomputer hacken – diese wurden gerade erst mit Verweis auf technische Mängel vom Verfassungsgericht verboten. Projekte wie das Öko-Porno-Forum „Fuck For Forest“ wären vor 30 Jahren noch unmöglich gewesen – heute sammeln die Aktivisten pro Jahr bis zu 100.000 Dollar für den Erhalt des Regenwaldes. Diesen Beitrag können ein paar Demonstranten vor dem Reichstag schwerlich leisten.
Die Protestbewegung profitiert aber auch vom Zusammenrücken der Welt: Jugendliche aus allen Ländern geben der herrschenden Klasse bei jedem Gipfeltreffen deutlich zu vstehen, dass sie nicht d'accord mit den bestehenden Verhältnissen sind. Auch beim G20-Gipfel in London werden wieder Zigtausende ein klares Zeichen setzen.
Bierernst ist jugendlicher Protest, und das mag das Unverständnis der heutigen Elterngeneration erklären, aber nicht immer. Politische Satire, wie sie das amerikanische Magazin „The Onion“ oder die Aktivisten der „Hedonistischen Internationale“ gekonnt in Szene setzen, ist eine durchaus moderne Form des Protestes. Und ist nicht die „Clowns’ Army“, die in bunten Kostümen den Polizisten bei Demos den Staub von der Uniform wedeln, die entwaffnendste Form der Kritik? Vielleicht ist das wirklich Schlechte an der Jugend ja einfach, dass man irgendwann nicht mehr dazu gehört.
Dieser Text ist Teil einer Taz-Beilage der Praktikumsinitiative creative village. Das Thema in diesem Jahr: zeitgemäße Protestformen. Die komplette Beilage gibt es hier als pdf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut