Jürgen Walter vor dem SPD-Parteigericht: Der Abweichler
Der frühere Landtagsfraktionschef Jürgen Walter wollte die hessische SPD-Kandidatin Ypsilanti nicht zur Ministerpräsidentin wählen. Jetzt befasste sich das Parteigericht damit.
Geboren im Revoltejahr 1968 als Sohn eines Schlossers, avancierte der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete und Advokat Jürgen Walter 40 Jahre danach - am 3. November 2008 - zum aufrechten Rebellen gegen das Establishment seiner Partei und dessen die Wähler düpierenden Kurs der Kooperation mit der Linkspartei. Das jedenfalls sagen die einen. Und das sind vor allem die frei- und christdemokratischen Profiteure der angeblichen "Gewissensentscheidung" des Renegaten Walter und seiner beiden Gesinnungsgenossinnen Carmen Everts und Silke Tesch.
Die anderen dagegen - und das sind fast alles Sozialdemokraten - schimpfen ihn genau deshalb einen "Verräter", der mit seinem "gewissenlosen und von Untreue geprägten Gebaren" seine Partei- und Fraktionschefin Andrea Ypsilanti nur zwei Tage vor ihrer anvisierten Wahl zur Ministerpräsidentin "hinterhältig abgemurkst" (ein Landesvorstandsmitglied) habe. Ein die Partei schädigendes Verhalten - so jedenfalls urteilte man in rund zwei Dutzend Ortsvereinen und beantragte Parteiordnungsverfahren gegen Walter und seine Mitstreiterinnen.
Am Freitag stand zuerst Jürgen Walter vor dem "Parteigericht" des Unterbezirks Wetterau. Doch ein Einigungsversuch scheiterte, wie Walters Rechtsbeistand Mathias Metzger nach der Sitzung mitteilte. Der Leiter der Kommission hatte vorgeschlagen, dass Walter seine SPD-Mitgliedschaft lediglich für einen bestimmten Zeitraum ruhen lassen solle. Doch Walter lehnte ab.
Walter ist Jurist. Er weiß, dass ihm der Instanzenweg bis hin zu den ordentlichen Gerichten offensteht, falls er in Nidda noch verurteilt werden sollte. "Bis zum Bundesverfassungsgericht" will er sich notfalls durchklagen, hatte er vor Verhandlungsbeginn angekündigt. Ein Szenario, das Partei- und Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel, der einen "umfassenden Neustart" versprochen hat, nicht gefallen kann. Das in Nidda mit einem Berufsrichter und zwei Laien mit SPD-Parteibuch besetzte Schiedsgericht kann Walter rügen, es kann die temporäre Beschränkung seiner Mitgliedsrechte verfügen, ihn aus der SPD ausschließen - oder das Verfahren einstellen.
Letzteres wäre wohl nicht nur Walter recht. Denn in seinem Unterbezirk stehen nicht wenige Kommunalabgeordnete und auch Bürgermeister zu Walter. "Parteiausschlussverfahren sind der falsche Weg, um solche Dinge zu bereinigen", meint etwa der Bürgermeister der Kreisstadt Friedberg, Michael Keller: "Politische Fragen müssen auch politisch entschieden werden." Bislang allerdings ist die Schiedskommission am Zug. Sie muss nun innerhalb von drei Wochen zu einer Entscheidung kommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier