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Jürgen Habermas über die EUDie zwei Körper des Europäers

Der Philosoph Jürgen Habermas hat in einem Vortrag den Zustand der Europäischen Union kritisiert. Ihm geht es um Politik, nicht um Ökonomie.

Jürgen Habermas sprach in der HU darüber, wie sich Bürger und Staat im Rahmen der Europäischen Union politisch zueinander verhalten sollten. Bild: dpa

BERLIN taz | Nein, zur aktuellen Belastungsprobe des Euro sagte er kaum etwas. Der Philosoph Jürgen Habermas sprach zwar am Donnerstag an der Berliner Humboldt-Universität zur "Krise der Europäischen Union", doch betrachtete er sie, wie es im Titel seines Vortrags weiter hieß, lediglich "im Lichte einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts". Über Ökonomie wollte er sich nicht äußern, so seine für einen Intellektuellen überraschend bescheidene nachträgliche Erklärung, da sei er nicht kompetent.

Dafür entwickelte Habermas im bis in die letzte Ecke überfüllten Audimax mit gebotener akademischer Strenge den Gedanken, wie die Europäische Union als politisches Gebilde funktionieren könnte, wenn die beteiligten Regierungen denn Interesse zeigen würden, die erforderliche politische Willensbildung unter den Bürgern zu stärken. In seinem Vortrag sparte er nicht mit Kritik an den bestehenden Verhältnissen, konzentrierte sich aber weitgehend auf die Analyse der Frage, wie sich Bürger und Staat im Rahmen der Europäischen Union politisch zueinander verhalten sollten.

Wer also erwartet haben mochte, eine Fortsetzung von Habermas' im April in der Süddeutschen Zeitung formulierter harscher Kritik an der gegenwärtigen EU-Politik, insbesondere der von Bundeskanzlerin Angela Merkel, zu hören, wurde womöglich enttäuscht. Von einigen deutlichen Seitenhieben abgesehen, bewegten sich seine Einwände, wie die übrigen Erläuterungen, auf abstrakt rechtsphilosophischer Ebene. Ausgangspunkt seiner Überlegungen waren gleichwohl die - in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Krise vermehrt zu hörenden - europaskeptischen Einwände, die oft genug die Sinnfälligkeit der EU als solcher bezweifeln.

Kanzlerin als Symbol des Hinhaltens

Gegen die Verächter der EU stellte Habermas klar, welche verfassungsrechtlichen Innovationen mit dem Projekt verbunden sind. Die Bürger tauchen darin nämlich in zweierlei Gestalt auf: So fußt die Europäische Union - ungeachtet des Klischees vom "Brüsseler Wasserkopf" - auf einer Teilung der Souveränität zwischen Bürgern und Staaten. Das heißt, dass man als Bürger sowohl als Unionsbürger als auch als Staatsbürger an der Bildung dieses politischen Gemeinwesens beteiligt ist. Habermas sieht darin eine doppelte Gerechtigkeitsperspektive, die der "Bürger als Individuen" und die der "Angehörigen von Staatsvölkern".

Von einer Anerkennung der beiden verfassunggebenden Subjekte - Unionsbürger und Staatsvölker - als gleichberechtigte Partner sei die EU aber noch weit entfernt. Es fehle an der erforderlichen Kooperation der Mitgliedsstaaten. Das sei in der Eurokrise deutlich zu merken, in der die deutsche Kanzlerin zur europaweiten Symbolfigur für ein "hinhaltendes Taktieren" geworden sei und sich in den Bevölkerungen eine durch Populismus geschürte Ablehnung des europäischen Vorhabens breitmache.

Mangel an Verteilungsgerechtigkeit

Mit dem Rückfall in die Perspektive nationalstaatlichen Einzelinteresses werde genau das nicht bewältigt, was in der Krise als Problem der EU offenbar geworden sei: ein Mangel an Verteilungsgerechtigkeit. Solange die EU nicht die nötigen Steuerungsmöglichkeiten hat, um in sozialer Hinsicht für die "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" zu sorgen, könne sie sich auch nicht zu einem demokratischen "supranationalen Gemeinwesen" entwickeln.

Neben Habermas, der mittlerweile 82 Jahre alt ist, haben sich mit Alexander Kluge und Hans Magnus Enzensberger in jüngerer Zeit noch weitere Intellektuelle seiner Generation kritisch zur Situation der EU geäußert, wenn auch nicht mit der gleichen Stoßrichtung. Enzensberger etwa hält die jüngere Erweiterung der Gemeinschaft für "größenwahnsinnig", während Habermas, wie er in der anschließenden Diskussion einräumte, einen EU-Beitritt der Türkei durchaus befürwortet. Ein wenig ironisch ist jedoch an Habermas' Kritik sein oft vorgetragener Einwand, die EU sei ein "von den politischen Eliten hinter verschlossenen Türen betriebenes Projekt", dem er mehr breite Öffentlichkeit wünsche: Dass seine eigenen Interventionen auf einem gleichfalls elitären Verständnis der Union beruhen, wonach die Bürger von den Medien und der Politik erst einmal richtig für die gemeinsame Sache motiviert werden müssten, um sich für Europa zu interessieren, steht auf einem anderen Blatt.

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7 Kommentare

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  • A
    anke

    Ach ja, Undank ist der Welt Lohn! Da widmet der Medienschaffende Tim Caspar Boehme nicht etwa den Gedanken der Raumpflegerin Gudrun H., die gewiss nicht weniger intellektuell, dafür aber deutlich näher an der deutschen Durchschnittswirklichkeit gewesen wären, seine bezahlte Arbeitskraft sowie erheblichen Raum in der taz, sondern dem Philosophen Jürgen Habermas, dem auch sonst jeder einen feuerwehrroten Teppich vor die Füße rollen würde, wenn er denn zu Besuch käme. Und dann? Dann mutet dieser Mensch ihm nicht nur den Verzicht auf "eine Fortsetzung" seiner "harschen Kritik an der gegenwärtigen EU-Politik" zu, er beweist zu allem Überfluss auch noch ein "Elitäres [selbst]Verständnis", in dem er durchblicken lässt, dass "der Bürger [A.d.V.: von wem auch immer] erst mal richtig motiviert werden muss", bevor er sich interessieren kann. Eine Sauerei, das! Eines allerdings sollte Tim B. Herrn Habermas zugute halten. Der Mann agiert, anders als gewisse andere Menschen, wenigstens nicht "hinter verschlossenen Türen". Es ist also niemand mit hinreichendem Intellekt daran gehindert zu erkennen, dass in einer (immer weniger sozialen) Marktwirtschaft auch für die immerhin käufliche Geistes-Elite gilt: "Ihr wollt sie? Ihr kriegt sie!"

  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    Angesichts der schon länger exsitierenden Riesenvölkerstaaten USA, Russland, China, Indien ist die Kategoreisierugn "größenwahnsinnung" seites Herrn Enzensberger etwas unverständlich. Die EU firmierte da im "gesichterten Mittelfeld".

    Wie wäre wsmit einer Relektüre von Kafaks "Das nächste Dorf" nach "Josefine und das Volk der Mäuse"?

     

    Es wundert mich, dass die Debatte nicht die wunderbaren Möglichkeiten für die Herrschenden, die den Soziologen kaum verbrogen geblieben sein können, die diese 4-5 Rgerungsebenen in der EU so für Politik gegen das Wahlvolk so mit sich bringen,

    negativ thematisieren.

    Das ist der eigentliche Grund für die "Halbheiten".

    Die ökonomisch Superstarken sind nämlich handlungskompetent in der Ökonomie. Auch Schadenskompetent.

  • G
    Gallier

    Philosophen, die die Welt aus einer akademisch-theoretischen Perspektive betrachten, werden die Realität nicht verändern.

    Die sogenannte "Europäische Union" ist doch im Kern ihrer Existenz eine Wirtschafts- und vor allem eine Geldangelegenheit, wie die Aktualität beweist. Da geht es um knallharte, national betonte Wirtschaftsfakten und Lobbyinteressen, um mehr nicht.

    Und was die Beziehung Bürger - Europaadministration angeht, so lässt sich diese an der Wahlbeteiligung bei den Europawahlen ablesen.

  • V
    vic

    Schön und gut,

    aber ich sehe nicht, dass ich als "Unionsbürger" an EU-Politik beteiligt bin.

    Wenn es so wäre, gäbe es nicht die unglaubliche Geldverschwendung für Verwaltung und Reisekosten, die Altersruhesitze füe nationale Asschussware.

    Und es säße dort nicht ein Edmund Stoiber. Noch dazu zuständig für ein wichtiges Ressort, von dem er

    (auch) nicht die geringste Ahnung hat.

    Um nur ein paar wenige Punkte aufzuzeigen.

  • PK
    Peter, Köln

    Zwei Kommentare?! - Thema scheint nicht von Interesse?

     

    Zur Griechenland-Krise ein Essay von J. H. aus dem Handelsblatt vom 18.6.2011:

     

    http://www.handelsblatt.com/politik/international/europa-am-scheideweg/4298474.html

  • WT
    Wolfgang Teune

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    Was kann denn ein Philosoph sagen, wenn es um die Krise in Europa geht, eben einer ökonomischen Krise, die auch nicht geheilt werden könnten, wenn Bürger darüber abstimmten, die ggf. so wenig Ahnung von Ökonomie haben wie der Philosoph. Wie ließe sich denn eine Abstimmung über Bilanzrichtlinien oder Bewertungsgesetze denken, wenn selbst Journalisten zunächst nur Spekulanten geißeln, obwohl Banken per Gesetz darauf verwiesen sind, Vermögen ihrer Gläubiger zu erhalten. Gläubiger sind Sparer, bei den Versicherungen heißen sie Versicherte. Auf die Strassen zu gehen, seine Meinung zu Gehör bringen ist verständlich,. das ändert aber an dem gegenwärtigen Regelsystem nicht ein Jota und neue Regeln sind nicht in Kraft und müßten zudem erst simuliert werden, was mit ihnen besser gelänge.

    Griechenlandkrise ist eine politische Krise und zwar resultierend aus den Mythen unserer Regierungen,weniger des ökonomischen Sachverstandes.Ein Land kaputt sparen hilft nichts, nicht einmal den Gläubigern.Bekannte Tatsachen seit Keynes Analyse des Versaillervertrages. Das wenigstens sollte auch Habermas wissen. Aber jeder blamiert so so gut wie er kann.

    Wolfgang Teune

    Leverkusen

  • T
    T.V.

    Ist der Vortrag in irgendeiner Weise aufgezeichnet worden und im Internet verfügbar?