Jürgen Gottschlich über die vertane Chance nach SuruÇ: Zurück in den Schützengraben
Es hätte die Chance auf einen Neuanfang sein können. Was, wenn nicht das furchtbare Massaker in der kurdischen Grenzstadt Suruç, wäre ein Grund für die widerstreitenden politischen Gruppen der Türkei gewesen sich zu fragen: Was müssen wir anders machen, um die Gefahr eines solchen Horrors in Zukunft zu bannen? Nach dem Anschlag gab es einen Moment, der Hoffnung machen konnte. Der Schock über alle politischen Grenzen hinweg war groß. Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu erklärte, er gehe davon aus, dass Anhänger des „Islamischen Staats“(IS) für das Massaker verantwortlich seien. Er lud alle im Parlament vertretenen Parteien ein, eine gemeinsame Erklärung gegen den Terror abzugeben.
Dieses Treffen aber fand nicht statt. Stattdessen beschuldigte die kurdische HDP die regierende AKP, ihre Politik der Duldung und heimlichen Unterstützung des IS habe das Attentat erst möglich gemacht – was nicht falsch ist, aber ignoriert, dass Davutoğlu eine Änderung dieser Politik in Aussicht stellte. Statt zu reden, beendete die kurdische Guerilla der PKK alle politischen Annäherungsversuche, als sie am Mittwoch als Rache für Suruç zwei Polizisten ermordete.
Die Reaktion der Regierung kam prompt. Nach einer Sondersitzung des Kabinetts am Mittwoch konterte Regierungssprecher Bülent Arınç die Vorwürfe der HDP, die Polizei hätte die Veranstaltung der sozialistischen Jugendgruppen in Suruç nicht geschützt, mit der hinterhältigen Frage, warum kein Vertreter der HDP dort anwesend war. Hinter dieser Frage verbirgt sich eine Verschwörungstheorie, die in regierungsnahen Medien zirkuliert: Die HDP habe von dem Anschlag gewusst und ihn geschehen lassen, um die AKP beschuldigen zu können. Der Chef der HDP, Selahattin Demirtaş, wies diese Unterstellung zurück, distanzierte sich aber nur halbherzig von dem Polizistenmord der PKK. Damit ist die Chance auf einen Neuanfang vertan. Jedes politische Camp bleibt in seinem Schützengraben. Der Terror wird weitergehen.
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