Jürgen Boos zieht Bilanz: Keine Illusionen in Frankfurt

Der viel gescholtene Buchmessendirektor Jürgen Boos blickt recht zufrieden auf die Messe. Sie habe etwas angestoßen, glaubt er. Auch die Chinesen nähmen etwas mit nach Haus.

Schlechte Stimmung: Juergen Boos (links) und der ehemalige chinesische Botschafter in Deutschland, Mao Zhaorong, beim China-Symposium im September. Bild: dpa

Im Streit um den Umgang mit dem diesjährigen Gastland der Frankfurter Buchmesse schien es bislang viele Gewinner und nur einen Verlierer zu geben. Die offizielle chinesische Delegation genoss es, dass Buchmessendirektor Jürgen Boos beim China-Symposium im Vorfeld der Messe nach ihrer Pfeife tanzte. Die chinesischen Dissidenten, die die Messe unverständlicherweise ausgeladen hatte, bekamen prompt umso größere Aufmerksamkeit. Und die deutschen Medien hatten ein tolles Thema.

Nur Jürgen Boos stand als Verlierer da. Ich bemitleidete ihn fast ein wenig, weil ihm die Offiziellen aus China das Leben so schwer machten, und es in den Augen von Chinesen ja auch keine Schande ist, mal den Kopf einzuziehen, um das Ganze im Auge zu behalten.

Umso überraschter bin ich, als sich Boos in unserem Gespräch zum Abschluss der Messe nachsichtig gegenüber den unmöglichen Manieren seiner offiziellen Gäste zeigt. Er reise seit 15 Jahren nach China und sei früher nur steifen Chinesen in blauen Anzügen begegnet, erzählt mir Boos. Doch in den letzten drei Jahren, während der Vorbereitung des China-Auftritts bei der Buchmesse, habe er ein ganz anderes Gefühl für China bekommen und viel offenere Gespäche führen können.

Die chinesische Buchbranche habe sich radikal verändert, sei viel offener geworden, sagt Boos. Dass man bei den chinesischen Funktionären nun wieder die alte Kleinlichkeit erlebt habe, störe ihn nicht. Er habe da nie Illusionen gehabt. Ein wenig enttäuscht sei er nur, dass ihm der Versuch misslungen sei, Kommunisten und Dissidenten miteinander ins Gespräch zu bringen.

Mir fiel auf der Messe auf, dass sich die deutschen Gastgaber zwar große Mühe machten, den Vertretern sowohl des offiziellen Chinas als auch der Dissidenz einen angemessenen Auftritt auf dem größten Buchmarkt der Welt zu verschaffen. Am Ende entstand doch ein sehr polarisiertes China-Bild, dass dem lebendigen, vielfältigen, sich verändernden Verhältnissen in China kaum gerecht wurde. Doch Jürgen Boos ist anderer Meinung. Für ihn nehmen die Chinesen aus Frankfurt neue Gedanken über ihr Gesellschaftssystem mit nach Hause, zum Beispiel wie man mit Minderheiten wie den Tibetern umgehen sollte, die auf der Messe sehr präsent gewesen seien. „Die Buchmesse stößt etwas an“, sagt Boos.

Ich spreche ihn noch einmal auf die Messeeröffnung mit Bundeskanzlerin Merkel an. Die Offiziellen aus China waren nämlich ziemlich beleidigt, dass sie sich gleich am ersten Abend auf der Messe so viel Kritik anhören mussten. Aber Boos verteidigt die Kanzlerin. Er findet es auch gut, wenn der Gast das sagt, was er sagen will. Dialog beruhe nicht auf Höflichkeitsfloskeln. Ich hoffe, dass unser Vize-Präsident Xi Jinping zu Hause in Peking das Gleiche denkt. Aber wahrscheinlich ist das nicht.

Chinesen sind durchaus flexible und lernfähige Menschen. Aber was Begrüßungsrituale zwischen Gast und Gastgeber angeht, bestehen sie auf ihren alten, konfuzianischen Manieren. Danach gehört es sich nicht, das lächelnde Gesicht eines weit gereisten Gastes zu ohrfeigen.

Doch nun reisen die Gäste schon wieder ab. Ob man Chinas Auftritt auf der Buchmesse als Erfolg verbuchen kann? “Schwer zu sagen, ich muss darüber nachdenken”, sagt der Direktor der weltgrößten Buchmesse. Aber darüber, was man hätte besser machen können, hat er offensichtlich schon nachgedacht. „Ich würde viel früher anfangen mit dem Symposium. Die politische Diskussion wäre viel differenzierter gelaufen“, sagt Boos. Er hat also etwas dazu gelernt. Insofern ist dann doch auch er ein Gewinner der Messe.

Liu Feng lebt als freie Übersetzerin in Peking. Zwischen 1999 und 2008 war sie sechs Jahre Dolmetscherin im Pekinger taz-Büro.

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