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JudentumAm Ende einer langen Dunkelheit

In Prenzlauer Berg steht Deutschlands größte Synagoge. Nach Jahren der Sanierung wird das prächtige Gotteshaus in der Rykestraße am Freitag wiedereröffnet.

Nach ihrer Fertigstellung wird die Synagoge 1.200 Besucher fassen Bild: AP

Wie ein normaler Architekt benimmt Kay Zareh sich nicht. Jeder andere würde preisen, was er trotz eines knappen Budgets erreicht hat. Der 64-Jährige mit Hang zur Selbstironie erzählt hingegen ohne Scheu, was er alles nicht hat renovieren können in der Synagoge an der Rykestraße - weil das Geld fehlte. Die Ochsenblutfarbe etwa, die zu DDR-Zeiten fast alle Holzfußböden der Republik bedeckte, ist ihm besonders zuwider: "Als wir mit der Sanierung anfingen, ergoss sie sich über fast alles. Bänke und Fußböden waren damit bedeckt." Zareh zeigt auf die Bohlen rund um die Orgel. "Die haben wir nicht mehr schleifen können." Doch die Sorge des Architekten angesichts kleiner ästhetischer Mängel ist unbegründet. Besucher, die heute das Gebäude durchstreifen, fällt es schwer sich vorzustellen, dass hier jahrzehntelang Dunkelheit und Muff herrschten. Das Haus in Prenzlauer Berg ist wieder eine Pracht, und es hat viel zu erzählen.

Erleben kann dies nur, wer sich nicht irritieren lässt von der schlichten, roten Backsteinfassade. Von der Straße aus kaum zu erahnen, ragt hinter einem kleinen Innenhof Deutschlands größte Synagoge auf. Den Innenraum erhellen viele Rundbogenfenster, weißer Putz bedeckt die Wände. Die Orgel erinnert am deutlichsten daran, dass die 1904 nach nur zehn Monaten Bauzeit eingeweihte Synagoge einst Heimat einer liberalen Gemeinde war. In orthodoxen Gebetshäusern ist das "christliche" Instrument bis heute verpönt. Größtmögliche Annäherung an ihre christlichen Nachbarn, das wünschten sich damals viele jüdische Berliner, die stolz waren auf ihren gesellschaftlichen Erfolg und ihren Status als preußische und deutsche Bürger.

Heute wie damals leuchten hier Kronleuchter mit Glühlampen. Ebenso die siebenarmigen Leuchter zu beiden Seiten des Thora-Lesepults, die bereits vor hundert Jahren elektrische Kerzen trugen. Fertig ist der Umbau der Synagoge jedoch noch immer nicht. Noch wenige Tage vor der Wiedereinweihung erfüllen die Geräusche bohrender, schleifender und Farbeimer tragender Handwerker den Sakralbau. Für 20.000 Euro wurde die Orgel auseinander genommen und neu zusammengesetzt. "Was sie sehen, ist fast ein Neubau", sagt Zareh. Gemeinsam mit seiner Architekten-Partnerin Ruth Golan musste er im Auftrag der Jüdischen Gemeinde zu Berlin eine schwierige Aufgabe bewältigen: Sie mussten ein Gebäude wiederauferstehen lassen, von dem niemand mehr genau weiß, wie es einst aussah.

Andererseits hatten es Zareh und Golan auch wieder leicht: Im Gegensatz zu vielen anderen jüdischen Gotteshäusern war das Haus in der Pogromnacht 1938 nicht abgebrannt. Seiner direkten Nachbarschaft zu Wohngebäuden, die nicht gefährdet werden sollten, verdankte es sein Überleben. Randaliert und geplündert wurde dennoch. Bis 1940 fanden hier noch Gottesdienste statt, dann konfiszierte die Heeresstandortverwaltung das Gebäude, die Gemeinde wurde enteignet.

Zwar überstand das Haus den Krieg, doch die Aufgabe der beiden Architekten war schwer genug: Drei hundert Jahre alte Schwarzweißfotos aus einer Broschüre mussten genügen, um den ursprünglichen Zustand zu erahnen. Auf wichtige Fragen gaben die Bilder aber keine Antworten: Welcher Text zierte einst die Frontseite der steinernen Bima, also des Pultes, auf dem die Thora während der Gottesdienste ruht? Und in welchen Farben war die bemalte, flache Holzdecke geschmückt? "Alles war einheitsbraun und weiß gestrichen, die eisernen Leuchter waren scheußlich golden lackiert", erinnert sich Zareh an seine ersten Eindrücke aus der Wendezeit. Bereits 1991 begann er mit Sanierungsarbeiten. Damals musste die stark rußende Kohleheizung weichen.

Zu DDR-Zeiten war die einzige Synagoge Ost-Berlins Heimat für rund 200 Gemeindemitglieder, die sich Sanierungen kaum leisten konnten. Zur Wärmedämmung mauerte man Fenster zu. Wie die kleine Gemeinde dahinsiechte, so schwand auch das Licht im einst hellen Saal.

Aus erhaltenen Fensterscheiben und Pigmentresten unter der DDR-Farbe schlossen Zareh und die Restauratoren: Einst müssen weite Teile des Innenraums in Rot und Grün gestrahlt haben. Die beiden Farben sind die ersten, die in der Thora erwähnt werden. Auch die Fenster im Erdgeschoss der Basilika erstrahlen nun in diesen Farben - wenn auch nach den eigenen Vorstellungen der Architekten. Auf Deutsch und Hebräisch ist auf den Fenstern die Erschaffung der Erde nach dem ersten Buch Mose, dem Beginn der Thora, nacherzählt.

Wo einst Bänke und Stühle für 2.000 Gläubige den Dielenboden füllten, werden künftig Sitze für maximal 1.200 Menschen stehen. Das liegt nicht nur am nötigen Platz für die Fluchtwege: Berlins Einheitsgemeinde zählt heute rund 12.000 Mitglieder. Das sind weit weniger als vor hundert Jahren, aber weit mehr als zu Wendezeiten. Seit Anfang der 90er-Jahre sind tausende Juden aus Osteuropa an die Spree gekommen. Konservative Organisationen wie Chabad Lubawitsch nehmen sich ihrer in der neuen, fremden Heimat an. Anders als die einstige Gemeinde propagieren die Helfer heute jedoch ein orthodoxes Religionsverständnis - und das hat Folgen. In der Rykestraße, vermutet Architekt Zareh, werden Männer und Frauen künftig getrennt sitzen. Und die umstrittene Orgel? Zareh - selbst kein Jude - sieht das pragmatisch: "Die wird dann einfach nicht gespielt." Liberale sehen diese Entwicklung mit Skepsis, immer mehr von ihnen wenden sich an die liberale Synagoge am Dahlemer Hüttenweg.

Warum also hat die Stiftung Deutsche Klassenlotterie 2,7 Millionen Euro für die Arbeiten im Synagogeninnern gezahlt, und warum hat der Senat 2,3 Millionen Euro spendiert? Weil sie beweisen wollen, dass jüdisches Leben auch in Osten der Stadt wieder Fuß fassen kann. Und ein Mann symbolisiert die Hoffnung wie kein anderer: Wenn am Samstag um 11 Uhr Rabbiner und Kantoren die Thorarollen feierlich zurück in den Betraum tragen werden, wird voraussichtlich auch Leo Trepp dabei sein. Der 1913 Geborene absolvierte Mitte der 30er-Jahre das Rabbinerseminar in Berlin, kam später ins KZ Sachsenhausen, konnte nach Großbritannien emigrieren und lebt seit Jahrzehnten wieder in seiner Heimatstadt Mainz.

Ähnlich symbolträchtig ist, dass die Einweihung den Beginn der Jüdischen Kulturtage markiert, die bis zum 9. September dauern. Bis zu 1.200 Besucher erwarten die Veranstalter bei den Hiphop-, Klezmer- und Reggae-Konzerten, am Chanson-Abend oder in der Langen Nacht der fünf teilnehmenden Synagogen. Und wer wird im Alltag die Sitzreihen des wiedereröffneten Gebetshauses füllen? "In den kommenden 30, 40 Jahren wird es hier wieder voll werden", sagt der Architekt. Mit einem Lächeln fügt er hinzu: " Oder fragen Sie Doktor Joffe." Das ist der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, somit Zarehs Auftraggeber und ein Mann von Mitte Dreißig. "Der kann auch noch selbst für Nachschub sorgen." Kay Zareh benimmt sich wirklich nicht wie ein normaler Architekt.

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