Journalisten oder Polizisten?

Am 20.0Ktober 1967 hatte die Sendung „Aktenzeichen XY...Ungelöst“ Premiere. Zehnmal im Jahr flimmert seitdem die Sendung über den Bildschirm, produziert von der „Securitel-Film- und Fernsehproduktions- und Verlagsgesellschaft“ in München Unterföhring. Die Aufbereitung der Fälle und die Moderation erarbeitet die „Deutsche Kriminal-Fachredaktion“ im gleichen Gebäude. Alleinbesitzer beider Firmen ist Eduard Zimmermann, der nach einem kurzen Gastspiel beim Norddeutschen Rundfunk bereits seit 1964 in seiner Sendung „Vorsicht Falle!“ vor „Neppern, Schleppern und Bauernfängern“ warnt. Seit dem Start von „XY“ hat Zimmermann knapp 1.800 Kriminalfälle behandelt und nach weit über tausend Personen gefahndet.

In der Festschrift zur 200.Sendung resümiert ZDF-Intendant Stolte, daß „das ZDF mit dieser Sendereihe eine notwendige und erfolgreiche Programmidee verwirklicht hat“. Entsprechende Schwestersendungen werden inzwischen in den Niederlanden, Großbritannien und Israel ausgestrahlt, eine US-Fernsehgesellschaft hat die Rechte für eine Fahndungssendung nach dem Muster „XY“ für die USA und Kanada erworben.

Die Kritik an „XY“ ist fast so alt wie die Sendung selbst. Im Dezember 1968, nach der 10.Sendung, bezeichnet Ulrike Meinhof in einer „konkret„-Kolumne „Aktenzeichen XY...Ungelöst“ als „riesigen Betrug an den Zuschauern“. Ihr erscheint „XY“ nicht zuletzt als eine Testsendung, „vermittels derer feststellbar ist, inwieweit Kriminelle sich als Haßobjekte in Deutschland und Österreich eignen“.

Im Januar 1981 fordert die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen die Absetzung von „XY“. Die Verlagerung der Strafverfolgungskompetenz von der Staatsanwaltschaft auf das Fernsehen sei „rechtsstaatlich höchst bedenklich“. In den Reihen der ARD-Intendanten und Fernsehdirektoren stößt „XY“ nach wie vor auf scharfe Kritik. Dr.Locher, stellvertretender Intendant des Südwestfunks, hat „erhebliche Bedenken“ gegen diese Art von „Menschenjagd in öffentlich-rechtlichen Medien“. Fernsehdirektor Conrad vom Hessischen Rundfunk und sein Kollege vom Süddeutschen Rundfunk, Dr.Boelte, halten es für bedenklich, „Unterhaltung mit polizeilicher Ermittlungsarbeit zu koppeln“. Manfred Blödorn von der Sendeleitung Fernsehen beim Norddeutschen Rundfunk kritisiert an „XY“, daß die Sendung die Zuschauer zu „einem Hase-Jäger-Spiel auffordert und die Denunziation fördert“. Für Achim Kienzle, Chefredakteur Fernsehen von Radio Bremen, hat die Sendung „nichts mehr mit Journalismus zu tun“. „Wir sind Journalisten und nicht Polizisten.“ Nur Wolf Feller, Fernsehdirektor beim Bayerischen Rundfunk, hat keine rechtlichen Bedenken. Er könnte sich vorstellen, daß „XY“ auch vom BR produziert werden könnte.

Doch alle Kritik an „Aktenzeichen XY...Ungelöst“ ging bisher ins Leere. ZDF-Justitiar Ernst W.Fuhr wischt alle Bedenken gegen die Sendung vom Tisch. Er leitet ihre Existenzberechtigung aus der grundgesetzlich garantierten „Programmgestaltungsfreiheit des Rundfunks“ ab. Die Berichterstattung über das Verbrechen sei „ein Kennzeichen unserer freien Gesellschaft, Diktaturen - rechte wie linke dulden sie nicht“.