piwik no script img

Journalist über SeepferdchenVerfressene Räuber

Männliche Seepferdchen tragen den Nachwuchs aus, ihr Geschlecht ist lange unklar. Mit dieser Tarnung können sie sich optimal schützen, sagt der Journalist Till Hein.

Seepferdchen, der eigenwillige Fisch Foto: Marc Schüler/imago
Manfred Kriener
Interview von Manfred Kriener

taz: Herr Hein, Sie haben als Wissenschaftsjournalist ausgerechnet über Seepferdchen ein Buch geschrieben und das Leben der „Crazy Horses“ akribisch studiert. Warum gerade dieses Tier?

Till Hein: Seepferdchen wirken erst einmal niedlich. Als ich mit der Recherche begann, entdeckte ich aber immer mehr Besonderheiten. Das fängt an bei ihrem einzigartigen Körper, der aufrecht im Wasser schwimmt. Und es gipfelt in der Schwangerschaft der Männchen, das ist einmalig im Tierreich.

Mit ihrer Bruttasche am Bauch könnten Seepferdchen zur Gattung der Kängurus gehören, mit ihrem Farbenspiel eher zu den Chamäleons. Sie sind aber Fische, was macht sie zu Fischen?

Das habe ich mich auch gefragt, denn Seepferdchen haben keine Schuppen, sondern ein Exoskelett aus Knochenplatten. Sie haben aber kleine Flossen, mit denen sie schwimmen und navigieren. Sie sind auch sonst sehr „fischig“, haben eine Schwimmblase und auch Kiemen. Zur Aufzucht der Jungtiere im Brutbeutel gibt es bei Fischen durchaus Parallelen. Die meisten Arten laichen zwar ihre Eier ab, aber andere tragen die Jungtiere tatsächlich aus, zum Beispiel Haie.

Bild: Mathias Bothor
Im Interview: Till Hein

Jahrgang 1969, studierte in Basel Geschichte, Germanistik und Russisch. Als Wissenschaftsjournalist schreibt Hein u. a. für „mare“, „Geo“, „Spiegel WISSEN“, die „FAS“ und die „NZZ am Sonntag“.

Sein Buch „Crazy Horse – Launische Faulpelze, gefräßige Tänzer und schwangere Männchen: Die schillernde Welt der Seepferdchen “, mare-Verlag, 240 Seiten, 22 Euro, erscheint am 30 März 2021.

Man glaubt es kaum, aber eigentlich ist das Seepferdchen ein Raubtier. Ein zahnloser, aber verfressener Räuber.

Seepferdchen haben tatsächlich keine Zähne – höchst ungewöhnlich für ein Raubtier. Sie fressen Zooplankton und vor allem winzig kleine Krebse. Und diese Kleinkrebse verzehren sie in horrendem Ausmaß.

Warum sind sie so verfressen?

Seepferdchen haben einen Darm, aber keinen Magen. Deshalb kann ihr Organismus nur leicht verwertbare Nährstoffe aufnehmen. Der größte Teil der Nahrung bleibt unverdaut und wird – flutsch! – wieder ausgeschieden. Deshalb muss man ständig das Aquarium putzen, wenn man Seepferdchen hält. Sie fressen eigentlich den ganzen Tag. Als gut getarnte Lauerjäger klammern sie sich mit ihrem Schwanz eisern fest, zum Beispiel am Seegras, und warten, bis Beute vorbeischwimmt. Die saugen sie dann blitzschnell ein.

Seepferdchen fressen zwar wahnsinnig schnell, sie sind aber extrem langsam.

Die Rückenflosse liefert den Vortrieb, sie onduliert mit einer seltsamen Wellenbewegung. Die Zwergseepferdchen kommen damit auf eine Geschwindigkeit von 1,5 Meter pro Stunde – damit sind sie die langsamsten Fische der Welt, und selbst die Weinbergschnecke ist doppelt so schnell.

Mit dieser Geschwindigkeit können sie Feinden kaum entkommen?

Ja, sie haben eigentlich keine Chance. Aber sie sind mit ihrem harten Skelett eine schwer verdauliche Beute. Sie haben wenig Fleisch auf den Knochenplatten. Und mit ihrer Supertarnung können sie sich optimal schützen. Viele Arten wechseln ihre Farbe wie das Chamäleon, vor einem grauen Felsen haben sie ein graues Outfit.

Das Farbenspiel der Seepferdchen verwirrt selbst die Taxonomen, schreiben Sie, die immer wieder neue Arten entdeckt haben, die gar keine sind. Wie viele Spezies gibt es tatsächlich?

Im 19. Jahrhundert, als die Seepferdchenbegeisterung ihren Höhepunkt erreichte, war von 120 Arten die Rede. Manche wurden aber immer wieder entdeckt, in immer neuen Farben. Die kanadische Wissenschaftlerin Sara Lourie hat unlängst die bisher strengste Taxonomie vorgelegt. Sie hat viele Doppelungen aufgedeckt und kommt auf 44 Seepferdchenarten. Die Artabgrenzungen sind sehr tricky, da streiten die Wissenschaftler. Einige Seepferdchen gelten als „Kandidaten“ einer eigenen Art, die genetischen und die Verhaltensunterschiede müssen aber noch eindeutiger bestimmt werden.

Finden wir Seepferdchen auch in der Nord- und Ostsee?

Die meisten Menschen vermuten Seepferdchen eher in tropischen Gewässern. Tatsächlich leben die meisten Arten in den Meeresgebieten um Australien. Aber es gibt im Mittelmeer und auch in der Nord- und Ostsee zwei Seepferdchenarten: die Kurzschnäuzigen und die Langschnäuzigen. Die einen haben entsprechend längere, die anderen kürzere Schnauzen, die einen haben eine lustige Mähne, die anderen einen Stachel über den Augen.

Das Kurioseste und Einmalige der Seepferdchen ist die Schwangerschaft der Männchen? Was passiert bei der Paarung, wie werden die Männer schwanger?

Zuerst wird getanzt, Seepferdchen tanzen oft, das ist aber noch nicht die Paarung, eher Beziehungspflege. Seepferdchen leben monogam und treffen sich jeden Morgen zum Schmusen und Tanzen. Sie umkringeln sich, legen die Schwänze ineinander und sind ganz eng. Alle paar Wochen wird der Tanz aber zum Vorspiel der Paarung, das ist dann der Hochzeitstanz, der bis zu neun Stunden dauern kann. Bei der eigentlichen Paarung ergreift das Weibchen die Initiative und macht sich ganz gerade mit aufgerolltem Schwanz. Dann beginnt der Schwanz des Männchens auf und ab zu schnappen und der Brutbeutel füllt sich mit Wasser. Bald darauf nähern sich beide, eng aneinander geschmiegt, der Wasseroberfläche. Schließlich stülpt das Weibchen den penisartigen Ovipositor aus und spritzt seine Eier in den Brutbeutel des Männchens.

Dann wäre der Brutbeutel die Gebärmutter?

Das ist vergleichbar. Das Männchen befruchtet die eingespritzten Eier und danach schließt sich der Brutbeutel. Er öffnet sich erst wieder bei der Geburt, bis dahin ist er Uterus und Plazenta zugleich.

Und die Geburt selbst?

Ob die Seepferdchen dabei richtige Schmerzen haben, das ist ein großes umstrittenes Thema. Auf jeden Fall ist die Geburt strapaziös, echte Schwerstarbeit. Für die Weibchen ist die Produktion der Eier genauso anstrengend, deshalb ist das Austragen des Nachwuchses durch den Papa ein biologischer Vorteil, eine gute Arbeitsteilung. Manche Arten gebären nur ein Dutzend Kinder, andere haben bis zu 2.000 Nachkommen, das ist wieder sehr unterschiedlich.

So unterschiedlich wie die Geschlechterverteilung der Jungtiere, bei denen offenbar immer ein Geschlecht klar dominiert?

Ein verrücktes Thema, die Wissenschaft weiß darüber noch sehr wenig. Anfangs sehen alle Seepferdchen wie Weibchen aus, ab dem Alter von sechs Monaten entwickeln sich dann aber viele zu Männchen. Bei jedem Wurf ist am Ende ein Geschlecht deutlich in der Überzahl. Es könnte am Eintrag hormonell wirksamer Substanzen im Meerwasser liegen, vielleicht auch an der lokalen Wassertemperatur. Die Klimaveränderung könnte mittelfristig zu einem Überschuss männlicher Seepferdchen führen. Untersuchungen zeigen jedenfalls, dass warmes Wasser bei vielen Fischarten die Ausprägung männlicher Geschlechtsmerkmale begünstigt.

Seepferdchen sind Glücksbringer, sie gelten auch als Potenzmittel und werden deshalb dezimiert. Sind sie in ihrem Bestand bedroht?

Manche Arten sind tatsächlich bedroht, weil ihre Habitate in den Uferregionen zunehmend zugebaut werden. Und die Schleppnetzfischerei ist eine große Gefahr. Zudem landen gerade bei der Garnelenfischerei jedes Jahr Millionen Seepferdchen als Beifang im Netz. Auch die Überdüngung ist gefährlich und die Klimaveränderung. Um 15 von 44 Arten müssen wir uns ernsthaft Sorgen machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Sehr interessant.

    Klasse Interview. Fragender und Antwortender-supi!

    ..... die Kurzschnäuzigen und die Langschnäuzigen. Die einen haben entsprechend längere, die anderen kürzere Schnauzen, die einen haben eine lustige Mähne, die anderen einen Stachel über den Augen.....

    Der/die Schöne und der/die Pank!

    Ich bin kein Aquarianer.

    Bin ich bei Bekannten, die Eins haben und Seepferdchen drinn, stehe ich auch immer davor, ah, schön, schau mal, schaut mich an.



    Dank des Beitrages kann ich jetzt Aquarianerbekannte einer Wissensprüfung unterziehen.



    Ich habe nichts mehr zu verlieren also setze ich heute ,vielleicht noch morgen, in meinem persönlichen Umfeld den Ovipositor sprachlich und vielleicht praktisch, weiß ich noch nicht,ein. Die deutschen Bezeichnungen klingen auch recht viel versprechend.