■ Joschka Fischer bringt die Debatte der Grünen nicht weiter: Moralisches Punktesammeln
Joschka Fischer fordert eine Neubestimmung der grünen Außenpolitik. Zu Recht fragt seine Kollegin im Fraktionsvorsitz, Kerstin Müller, wie sich der selbsternannte außenpolitische Vordenker die militärische Verteidigung in Bosnien konkret vorstellt.
Fischer fordert mit viel Aufwand letztlich nicht mehr ein als eine innerparteiliche Debatte. Damit rennt er aber offene Türen ein. Das in Teilen der Medien vorherrschende Bild von einer radikalpazifistischen Parteimehrheit war noch nie so falsch wie derzeit. Historisch sind die Grünen eben nicht nur durch die Friedensbewegung der 80er Jahre geprägt, sondern auch durch die internationalistische Unterstützung von durchaus militärischen Befreiungsbewegungen. Deshalb war die friedenspolitische Haltung vieler Grüner schon immer eher pragmatisch orientiert.
Auch im Hinblick auf den Bosnienkonflikt verlaufen wichtige innerparteiliche Diskussionen nicht mehr entlang der Linie „Militär – ja oder nein“. Vielmehr geht es um die Bestimmung der Rolle des Militärs im Rahmen einer politischen Lösung, die zuallererst auf politische, das heißt zivile Konfliktlösungsmechanismen baut. Der vor wenigen Wochen vorgelegte Fragenkatalog des ehemaligen Parteisprechers Ludger Volmer war Ausdruck dieses Suchprozesses.
Das Dilemma der Partei liegt dabei nicht in ihrer Bewegungslosigkeit, sondern in den bisher ausweglos erscheinenden Rahmenbedingungen. Die werden nicht nur von der menschenverachtenden Machtpolitik der Serben um Milošević und Karadžić bestimmt, sondern auch durch die vorrangig auf Absicherung eigener Einflußsphären bedachte Politik der übrigen in den Konflikt involvierten Staaten.
Und dieses Dilemma der Grünen bleibt bestehen: Präsentieren sie ein integriertes Konzept, das militärische Komponenten beinhaltet, das aber nur unter bestimmten Rahmenbedingungen funktionieren kann, so ist das naiv. Denn die erforderlichen Rahmenbedingungen – UNO-Reform und ehrliche Menschenrechtsorientierung der Staaten der Bosnien-Kontaktgruppe – sind derzeit in weiter Ferne. Was davon öffentlich wahrgenommen würde, wäre ein Ja der Grünen zum Militäreinsatz. Deshalb ist es verständlich, warum die Grünen bis heute zögern, ein neues Konzept für ihre Bosnienpolitik zu präsentieren.
Fischer geht mit seinem Papier den entgegengesetzten Weg. Der führt jedoch auch nicht weiter. Er attackiert die bisherige hilflose Position des Nichtstuns, und damit kann er zumindest kurzfristig moralisch Punkte sammeln. Ein eigenes tragfähiges Konzept aber hat auch er nicht. Die Grünen haben also weiter die Wahl, ihre Hilflosigkeit entweder durch vermeintliche Ignoranz oder durch gutgemeinten Populismus auszudrücken. Christian Rath
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