Jonas Wahmkow schaut zum ersten Mal beim Pornfilmfestival vorbei: Ästhetik abseits des Mainstreams
Pornos genießen allgemein einen eher schlechten Ruf. Zwar fordert niemand mehr, wie Alice Schwarzers „PorNo“-Kampagne aus den 80ern, ein ernsthaftes Verbot, doch steht das Medium zu Recht in der Kritik, oft Ausdruck sexistischer und gewaltverherrlichender Männerfantasien zu sein. Nicht selten werden Bedenken laut, ob die unlimitierte Masse an Pornografie im Internet nicht die Geschlechtervorstellung der Jugend formt. Teenager gehen dann mit der Vorstellung, dass Moneyshot und Analverkehr einfach dazugehören, in ihr erstes Mal, so die Befürchtung.
Nicht verbieten, sondern besser machen, lautet die inoffizielle Devise des jährlich in Berlin stattfindenden Pornfilmfestivals, welches am Dienstag zum 13. Mal seine Pforten öffnete. Hier wird der Porno als künstlerisches Medium mit queer-feministischem Anspruch verstanden, welches die komplexe Vielfalt menschlicher Sexualität auszudrücken vermag. Grund genug, mal vorbeizuschauen und zu gucken, was Porno im Jahre 2018 alles kann.
Einblick in queere Lebenswelt
Am Mittwochabend ist der kleine Saal des Moviemento Kinos in Kreuzberg komplett gefüllt. Es läuft „Fucking against Fascism“ der amerikanischen Filmemacherin Chelsea Poe. Beim Schauen wird klar: „Mann“ und „Frau“ sind Kategorien, mit denen man bei diesem Festival nicht weit kommt.
Unter den Darstellenden sind Menschen verschiedenster sexueller Identitäten vertreten: etwa Transfrauen, Transmänner und Interpersonen. Auffällig ist auch, wie viel Spaß alle Beteiligten vor der Kamera gehabt haben, das wirkt angenehm auf die Atmosphäre im Kinosaal. Irgendwie ist es überhaupt nicht komisch, mit hundert anderen fremden Menschen in einem Raum Pornos zu gucken.
Für den heterosexuellen Autor, der bisher hauptsächlich nur mit Mainstream-Pornografie in Berührung gekommen ist, war der Pornfilmfestival-Besuch eine interessante Erfahrung. Pornos können durchaus auch künstlerischen Anspruch haben. Körper müssen nicht unbedingt dem heteronormativen Schönheitsideal entsprechen, um ästhetisch zu sein. Nicht zuletzt war es ein intimer Einblick in queere Lebenswelten.
Wenn Pornografie tatsächlich so einen starken Einfluss darauf hat, wie in unserer Gesellschaft Vorstellungen von Sexualität und Geschlecht geprägt werden, dann kann die Bedeutung des queer-feministischen Pornos gar nicht überbewertet werden.
Ein kleiner Gedanke am Ende des Abends: Allen, die sich immer noch über „Genderwahn“ aufregen und denken, Diskussionen über Unisex-Toiletten wären überflüssig, denen sei vielleicht auch mal ein Besuch beim Pornfilmfestival empfohlen.
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