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John Major mit dem Rücken zum Kanal

■ Europa spaltet die Tories auf ihrem Parteitag/ Antisemitische Untertöne

Dublin (taz) — Die Europa-Debatte hat Leben in den sonst eher langweiligen 109. Parteitag der britischen Konservativen in Brighton gebracht. Die Tories stehen vor einer Zerreißprobe, seit die Gegner der europäischen Integration am Dienstag Premierminister John Major offen den Kampf angesagt haben. Ihr Sprecher Norman Tebbit sicherte Major zwar seine Unterstützung zu, doch das klang eher wie eine Drohung: „Der Premierminister kann auf mich zählen. Das gilt, solange seine Politik darauf abzielt, unsere Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen und garantiert, daß wir unsere Angelegenheiten in unserem eigenen Interesse selbst regeln.“

Der Tory-Rechtsaußen Tebbit, ein enger Vertrauter von Majors Vorgängerin Margaret Thatcher, warnte vor den Maastrichter Verträgen. Sie seien eine „Zeitbombe“, die eine rechte Offensive in ganz Europa auslösen werde. Während Tebbit von mindestens einem Drittel der Anwesenden mit stehenden Ovationen gefeiert wurde, versagte ihm Major mit versteinertem Gesicht den Höflichkeitsapplaus. Bereits am Nachmittag hatte Tebbit für Aufsehen gesorgt, als er auf einer Randveranstaltung eine Ansprache hielt, die von vielen als antisemitisch gewertet wurde. Er sagte, daß ausgerechnet diejenigen, die am meisten unter der deutschen Geschichte gelitten haben, am schärfsten auf die europäische Einheit seien — nämlich Juden wie der ehemalige Finanzminister Nigel Lawson. Das Kabinett versuchte daraufhin, Tebbits Auftritt auf dem Parteitag zu verhindern, überlegte es sich dann jedoch anders. „Der Ärger, den das gegeben hätte, ist unvorstellbar“, sagte ein Parteifunktionär.

So kam Major am Ende mit einem blauen Auge davon. Sein Außenminister Douglas Hurd beschwor die Delegierten, die Partei nicht an der Europa-Frage zu spalten. „Wir wollen nicht, daß Großbritannien abseits steht, wenn über Sicherheit und Wohlstand Europas entschieden wird“, sagte er unter ständigen Zwischenrufen und Füßestampfen der Europa-Gegner. Beim anschließenden Votum stimmte schließlich eine deutliche Mehrheit für die Regierungspolitik, die auf einen Kompromiß angelegt ist: Major will beim Krisengipfel in Birmingham in der nächsten Woche eine drastische Einschränkung der Machtübertragung auf europäische Institutionen aushandeln. Tebbit bezeichnete die Abstimmung als „Witz“.

Neben der Europa-Frage erhitzte vor allem das wiederauferstandene Gespenst der „Kopfsteuer“ (Poll Tax) die Gemüter. Die umstrittene Steuer, die Thatcher den Kopf kostete, wird zwar im Frühjahr durch eine „Ratssteuer“ ersetzt, doch damit ist die Finanzierung der Regionalverwaltungen längst nicht gesichert. Der zuständige Staatssekretär John Redwood sagte, wegen des Haushaltsdefizits müßten die Verwaltungen ihre Ausgaben stark einschränken. Er drohte, daß die Regierung strikte Obergrenzen durchsetzen werde. Die Bezirksverwaltungen hatten vom Finanzministerium dagegen Zuschüsse in Höhe von zwei Milliarden Pfund gefordert, um das Loch zu stopfen, das beim Übergang von der Kopfsteuer zur Ratssteuer entstehen wird. Erneute Auseinandersetzungen im Frühjahr sind damit bereits vorprogrammiert.

Heute steht Major ein weiterer Härtetest bevor: Sein Finanzminister Norman Lamont muß sich vor den Delegierten für die Währungskrise und den maroden Zustand der britischen Wirtschaft verantworten. Ralf Sotscheck

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