„Johann Holtrop“ von Rainald Goetz: Schweine des Kapitals
Rainald Goetz' Konzeptroman kommt bei den Kritikern schlecht an und wird doch besprochen. Gewidmet ist er allen enthemmten Ich-Idioten.
„Den Toten die Blüte, uns Lebenden die Tat.“ Das ist das morgendliche Motto von Johann Holtrop, der Hauptfigur von Goetz’ aktuellem Roman, der bei der Kritik nicht sehr gut ankam. Das Buch erfülle nicht die Kriterien eines Unterhaltungsromans, sei in seiner Vorstellung von den oberen 10.000 der Gesellschaft zu holzschnittartig, kenne keine Liebe und kaum Triebe (zu wenig Sex!). Der Autor neige zudem zu Größenwahn und Besserwisserei.
Doch wenn dem so ist, warum schreiben alle von Spiegel über Welt bis Literaturen ausladende Besprechungen eines Romans, der ihnen vom Denken her viel zu blöde erscheint? Ach ja, kaum ein Totalverriss, der Goetz nicht nebenbei noch schnell einen begnadeten Schriftsteller nennt. Goetz ist und bleibt für den Betrieb der Mann mit den „großen Momenten“, dem Klagenfurter Rasierklingen-Existenzialismus, Teil einer Vorstellung also, die er seit dreißig Jahren so gerne beobachtet und beschimpft.
Und in „Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft“ macht er dies auf allerhöchstem Goetz-Niveau. Humorvoll, ironisch, angriffslustig und wunderbar gehässig – sehr gelungen! Dieser Wirtschaftsroman aus dem Innenleben eines Medienkonzerns wartet mit einem Ensemble völlig einseitig und total überzeichneter Personen auf, dass es eine Freude ist. Er enthält gerade im vorderen Drittel großartige Szenen und Beschreibungen.
Rainald Goetz: „Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft“. Suhrkamp, Berlin 2012, 340 Seiten, 19,95 Euro.
Dabei scheint eher nebensächlich, welchem realen Medienmanager der fiktive Holtrop tatsächlich gleicht, Goetz denunziert generell eine Haltung, die gestern auf Atomkraft und morgen auf Windräder machen kann, Wirtschaftseliten, die ihre Gewinne als Selbstläufer erachten und in einem unhinterfragbaren Status- und Konsumfunktionalismus Menschen und Branchen zyklisch versenken. „Holtrop glaubte einschränkungslos an die Freiheit seines selbstbestimmten Handelns.“
Karikatur des Systems
Goetz karikiert konsequent ein korporatistisches System, welches sich im Übergang zum postideologischen Neoliberalismus befindet. Sein Holtrop amtiert als CEO eines Medienkonzerns („Assperg“, 80.000 Mitarbeiter weltweit, 15 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2000), dessen Schaltzentralen in Krölpa und Schönhausen, ost- und westdeutsche Provinz, liegen. Fahrer, Dienstwagen, durchstandardisierte Menschen, keine Abweichung: „Frau Därne brachte Kaffee, Holtrop machte den Fernseher an und schaltete auf stumm.“
Goetz sucht die Zuspitzung, literarisch macht er keine Friedensangebote. Die Assperg-Menschen werden distanziert analysiert, sie sind in ihrer Gesamtheit zu verachten. Kein Bussi-Bussi nach Feierabend. Eine der Schlüsselszenen ist die „Freistellung“ des altgedienten Assperg-Managers Thewe: „Was haben wir ihm geboten? fragte Assperg. – Einen Tag Zeit sich daran zu gewöhnen, antwortete Holtrop.“
Aber auch mit dem gefeuerten Thewe ist literarisch kein Mitleid angebracht, ist er doch Resultat und nicht Opfer einer eigenen, lebenslang betriebenen Unsinnigkeit, auch körperlich ganz und gar davon gezeichnet: „sein sehr fetter Körper war mit den Jahren zwar nicht richtig fett geworden, aber doch weichlich in alle Richtungen auseinander gegangen.“ Ja, da hört bei der Kritik der Spaß aber auf, obwohl Goetz in unmittelbarer Nähe dieses Zitates dem fetten Trinker und verstorbenen Schauspieler-Anarchisten Helmut Qualtinger ein Denkmal setzt.
Doch auch nach Krölpa, der DDR-Ruine, der Dying City, der Kloake mit dem Ex-Obristenbürgermeister, wo Holtrop, so er nicht selber spricht, sich fühlt wie vom „Trotteltext gefoltert und zu Tode gequatscht“, schmuggelt Goetz komische Dinge, die erst ein „Freigestellter“ in der Kantine sehen kann: „Auf der Tasse stand in Französisch: encore un jour/sans amour, encore un jour/de ma vie“.
Keine Versöhnung mit dem System
Zu spät für Thewe, das Leben ist kein Chanson, und die Versöhnung mit den im System Gescheiterten wäre für Goetz der pure Kitsch. An anderer Stelle lässt er den Subalternen Wonka von den „Schweinen des Kapitals“ quasseln und kritisiert sogleich dessen vorgefertigte „Rede aus der organisierten Arbeitnehmerfolklore“. No WASG und kein Lafontaine today.
Goetz’ Haltung neigt philosophisch zur bohemistischen Unerbittlichkeit, etwa zu Filmen wie Godards „Week End“, Faraldos „Themrock“ oder Vinterbergs „Das Fest“. Das Faktische sollte man in dem Roman also nicht zu ernst nehmen, auch wenn Ausdeutungen Spaß bereiten.
Die ambivalente Nähe zwischen denen, die die Macht ausüben, und jenen, die sie kontrollieren, wird am Beispiel der jungen Journalistin Zegna demonstriert, die sich in einer amüsanten Szene mit Holtrop auf den besten Seitenplätzen der Berliner Paris Bar und einer Flasche „Brenzinger Lafitte Spider, Jahrgang 98“ wiederfindet – und dort das „irre Geplapper“ Holtrops erkundet.
Wo die berühmte Paris Bar, da auch andere „innerlich enthemmte Ichidoten“ nicht weit. Der Maler „Prütt“ und sein Berliner Galerist „Rommel“ tauchen auf. Wer in Rommel und Prütt den Galeristen Bruno Brunnet und den Maler Daniel Richter zu erkennen vermag, wird vor Lachen auf dem Boden liegen. Knoblauchgarspagio. Das auch, obwohl Goetz völlig willkürlich die Prütt-Malerei runtermacht.
Aber so ist das in der Thomas-Bernhard’schen Konzeptwelt des Rainald Goetz: Er schont nicht die, unter denen er sich bewegt, und auch nicht sich selbst. Der Streit um die richtige Haltung ist immer dabei. „Der Wahn des Geldes war weltlos und menschenleer“. „Johann Holtrop“, welch großer Gewinn für die Literatur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin