Johann Georg Elser

wird am 8. November 1939 um 20.45 Uhr in Konstanz verhaftet – wenige Meter von der Schweizer Grenze entfernt, die er unbemerkt überschreiten will. Noch spricht Adolf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller vor 3.000 „alten Kämpfern“ und Parteigründern. Es ist die Traditionsveranstaltung, mit der sie ihrem gescheiterten Putschversuch von 1923 gedenken – wie danach jedes Jahr.

Von 20.30 bis 22.00 Uhr dauert die Rede „an die Getreuesten“ („Völkischer Beobachter“) stets, aber in diesem Jahr hat es der Reichskanzler eilig: Für den 12. November plant er den Überfall auf Frankreich, er will rasch zurück nach Berlin. Sein Sonderzug fährt in München um 21.31 Uhr ab: der vorgesehene Flug am nächsten Morgen ist wegen Nebels zu unsicher. So verläßt er die Versammlung mit anderen Nazi- Führern um 21.07 Uhr – 13 Minuten später wird der Saal von einer gewaltigen Detonation erschüttert, Elsers Zeitbombe hat exakt funktioniert.

Die Stelle, an der Hitler soeben noch zum Krieg gegen England aufgerufen hat, ist von meterhohem Schutt begraben, Teile der Decke und der Galerie sind herabgestürzt. Acht Menschen, darunter eine Kellnerin, sterben; 63 Personen werden verletzt.

Über ein Jahr hat Elser diesen Anschlag vorbereitet. Sein Ziel war die „Beseitigung der Führung“, und das waren für ihn „die ,Obersten‘, ich meine damit Hitler, Göring und Goebbels“. Sein Motiv: „den Krieg verhindern“.

Elser hat akribisch geplant: Es gab nur einen Tag im Jahr, an dem Hitler und die Seinen zu vorausberechenbarer Stunde an einem bekannten Ort für den Schreiner zu erreichen waren. Schon im Vorjahr war er extra nach München gefahren, um den Aufmarsch der „alten Kämpfer“ zu beobachten und die Lokalität zu inspizieren. Ostern '39 geht er erneut zum Bürgerbräukeller, vermißt die Säule, in der er Apparat und Sprengstoff verstecken möchte, macht Fotos von ihr und dem Saal.

Von da an hat Georg Elser nur noch für seine Idee gelebt. Der sonst schon Schweigsame zieht sich noch mehr zurück, sein Zimmer in Königsbronn sichert er mit zwei Schlössern. Stunde um Stunde zeichnet und tüftelt er an seiner „Höllenmaschine“. Sogar den Arbeitsplatz wählt er, wie er ihn zur Beschaffung von Material braucht. In einer Firma entwendet er 250 Preßblättchen Schwarzpulver; im Königsbronner Steinbruch wundert man sich, warum der Facharbeiter schlecht bezahlt Steine schleppt – dort besorgt er sich 150 Sprengpatronen und 122 Sprengkapseln. In einem Garten macht er Versuchszündungen.

Am 5. August zieht Elser nach München, mit 400 Mark in der Tasche: Fahrrad und Baßgeige, seinen gesamten Besitz hat er verkauft. 35 Nächte lang arbeitet er am Tatort, auf den Knien, die sich entzünden: versteckt sich in einer Rumpelkammer. Läßt sich im Saal einschließen. Baut in die Holztäfelung der Säule eine unsichtbare Tür. Bricht dahinter mit speziell angefertigtem Werkzeug Mörtel und Steine aus. Wartet wegen des Lärms, bis sich alle zehn Minuten die automatische Spülung der Toiletten einschaltet. Lauscht, ob der Hausdiener mit den Hunden zum Kontrollgang kommt. Verkleidet die Tür von innen mit Blech, damit es nicht hohl klingt oder zufällig ein Nagel eingeschlagen werden kann – Elser, ein Perfektionist.

Wenn er tagsüber nicht schläft oder in einer Kirche innere Ruhe sucht, holt er heimlich den versteckten Säulen-Schutt ab und trägt ihn im Koffer an die Isar. Er entwickelt und fertigt seine Maschine: Wecker, Zahnräder, Federn, Bolzen, Klammern – ein hochkomplizierter Mechanismus, jede Funktion doppelt gesichert. So raffiniert ist der Kasten, den er schließlich in die Säule setzt, daß ihm danach keiner glauben mag, ihn alleine konstruiert zu haben. Im KZ Sachsenhausen wird er die Bombe aus dem Kopf nachbauen – in wenigen Tagen.

Georg Elser, am 4. 1. 1903 in Hermaringen, Kreis Heidenheim geboren, kommt mit einem Jahr nach Königsbronn. Hier geht er zur Schule, beginnt eine Lehre als Eisendreher und Schreiner – Gesellenprüfung 1922 als Bester. Er arbeitet in der Gegend, bis er 1925 auf Wanderschaft geht, lebt am Bodensee bis 1932. Elser bleibt unverheiratet, hat einen Sohn, der bei der Mutter aufwächst und erst nach dem Krieg erfährt, wer sein Vater ist.

Kurz bevor das KZ Dachau befreit wird, erläßt Himmler den Befehl zu Elsers Ermordung – am 9. April 1945 wird er umgebracht.

Es gibt nur wenige Dokumente über Elser – Grundlage seiner Beurteilung sind ausführliche Protokolle der Vernehmung durch die Gestapo von 19. bis 23. 11. 1939 in Berlin, nachdem er gefoltert, hypnotisiert, mit Pervitin gespritzt worden war (siehe IX. Das Motiv). Diese Protokolle werden oft als reine Wahrheit eingestuft und führen dazu, den Einzeltäter zu entpolitisieren (siehe dagegen XI. Deutsche Karrieren) – als hätte der intelligente Elser bei seinen Aussagen nicht sich und andere fürsorglich schützen wollen.