Joggend durch die Coronakrise: Nicht runterziehen lassen!
Joggen ist ein willkommenes Exil von Homeoffice und Heimbeschulung der Kids. Vielleicht kann man sich auch ein Stück Normalität zurückerlaufen?
Berlin taz | Schon verrückt, wie schnell eine Dystopie zur Wirklichkeit werden kann. Läden zu, Schulen zu, mehr als zwei Menschen auf einem Fleck gelten als gemeingefährlich. Es fällt schwer, das in den Kopf zu kriegen, die Veränderungen zu verstehen. Oder sollte man das gar nicht? Sollte man auch in diesem Wahnsinn nach ein bisschen vertrauter, aber vergangener Normalität suchen?
Also raus, joggen gehen. Morgens um viertel vor sieben wirkt das wie fast immer: Klar ist nicht viel los im Kiez, aber das ist es um diese Uhrzeit in Prenzlauer Berg auch sonst nie. Immerhin: Die Müllabfuhr ist unterwegs, auf den Straßen in Richtung des Alexanderplatzes stauen sich sogar ein paar Autos. Tagsüber stauen sich im Volkspark Friedrichshain jetzt die JoggerInnen.
Laufen ist seit einigen Wochen eine Art Exil von Homeoffice und Homeschooling. Und es scheint, mehr Menschen machen gerade diesen Sport. Schließlich sind die Muckibuden wegen Corona zu. Vielleicht liegt es aber auch nur am beginnenden Frühling. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, im Park zwitschern die Vögel, leise rauscht im Hintergrund der Autoverkehr.
Vom großen Bunkerberg aus betrachtet liegt die Stadt unter einem; die Baumfällungen der letzten Zeit lassen davor ungeahnte Details der Bebauung erkennen. Alles wie immer. Oder ist die Stimmung doch auch hier ein bisschen gedrückter als sonst? Quatsch, jetzt bloß nicht runterziehen lassen. Wie gewohnt lassen sich entgegenkommende LäuferInnen nicht zu großen Regungen hinreißen. Wer das „Guten Morgen“ entgegnet, gilt schon als redselig.
Tagsüber stauen sich im Volkspark Friedrichshain jetzt die JoggerInnen.
Manchmal erntet man einen bösen oder entsetzten Blick, wenn man vermeintlich zu knapp an jemanden vorbeiläuft. Auffällig ist aber auch hier, dass viele Eltern mit ihren Kindern laufen, schon zu so früher Stunde. Das gibt es sonst nicht. Und die Fitnessinsel mit den Stangen ist per rot-weißem Flatterband abgesperrt. Was am frühen Morgen ab und an noch ignoriert wird.
Auf dem großen Bunkerberg hat jemand vor einigen Tagen einen Holzkasten an einen Baum gehängt, mit der Aufschrift: Gipfelbuch. Darin ein Notizheft, ein Stift, eine volle Flasche Mate. Hier verewigt sich, wer diesen knapp 80 Meter hohen Berg erklommen hat, wünscht anderen Gesundheit, träumt von derzeit unerreichbaren, richtigen Bergen. „Verrückt, was die da reinschreiben“, meint eine Joggerin. Und läuft weiter. Zurück in die Normalität jenseits der Bäume, die jetzt so ganz anders ist.