Jörn Kabisch Angezapft: Es hat sich ausgezapft
Anfangs war ich überzeugt: Das neue Bier, handwerklich gebraut, wird zur Konkurrenz von Wein und sich als Tischgetränk etablieren. Und ja, es gab Restaurants, die probierten es, mit recht stattlichen Bierkarten oder sogar einer Bierbegleitung zum Menü. Aber das ist nun auch schon einige Jahre her, fast so viele wie diese Kolumne alt ist, die ich im Frühjahr 2013 begonnen habe. Es spricht für sich, dass sie ein Unikat in der alten, nicht so sozialen Medienlandschaft geblieben ist, wo Weinkolumnen fließen wie Cabernet Sauvignon aus dem Tetra Pak. Craft Beer dagegen blieb ein Thema für Blogs und Instagramkanäle.
Ach, überhaupt: Der Hype ums neue Bier hat sich abgekühlt und die Pandemie hat das noch beschleunigt, der Bierabsatz in Deutschland ist seit 2019 um rund neun Prozent zurückgegangen. Zwar ist es nicht zum ganz großen Brauereisterben gekommen, aber etliche Betriebe haben zugemacht, vor allem kleinere, die stark von Gastronomie und Veranstaltungsgeschäft abhängig waren.
Ein paar Craft-Brauer traf es auch, wenngleich glimpflich: Sie waren im Fassbiergeschäft noch nie stark, dazu kam, dass viele Verbraucher*innen während Corona bereit waren, für Qualität mehr Geld auszugeben. Geboomt aber hat Bier zuletzt nur in einer Ecke: der alkoholfreien.
Auch für mich endet die Reise durch die Welt der neuen Biere, und etwas schade ist das schon. Ich habe in den vergangenen neun Jahren so viel guten Stoff genossen! Für jede Folge dieser Kolumne öffnete ich durchschnittlich vier neue Flaschen, meist am Küchentisch, vor mir bauchige Stilgläser, die auch Rotwein zum Glänzen bringen würden. Nur selten hatte ich völlige Geschmacksverirrungen im Glas.
„Der Mann, der mehr verschiedene Biere getrunken hat, als manche Menschen Bücher gelesen haben“, nannte mich einst ein Kollege. Dabei begegneten mir auch wirklich viele Sorten, die sich als Speisenbegleiter eignen; vor allem Sauerbiere, die nach wie vor ein Nischendasein innerhalb der Craft-Beer-Nische fristen.
Nach exakt hundert Kolumnen nimmt der kulinarische Korrepondent Abschied vom Thema Bier.
Bier ist ein soziales Getränk geblieben. Man trinkt es an der Bar, am Tresen, man setzt das Glas auf blankem Holz ab, nur selten auf der weiß gestärkten Tischdecke. Den Wein hat das Bier nicht verdrängt, aber dennoch hat es zu einer neuen – alten – Stärke gefunden. Es ist eine riesige Vielfalt entstanden, und viele Brauer*innen wollen mit ihren Produkten gar nicht so weit hinaus, sondern vor allem gut vor Ort ankommen. Je mehr sie ihr Produkt zusätzlich deindustrialisieren, umso regionaler wird Bier wieder. Hier wiederum hat Bier gegenüber Wein aufgeholt.
Apropos: Die Lage auf dem Craft-Beer-Markt ist am wenigsten dafür ausschlaggebend, warum es sich mit dieser Kolumne ausgezapft hat. Auch ich regionalisiere. Wie und warum, davon wird bald hier zu lesen sein.
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