Jörn Kabisch Angezapft: Ein Bier wieein Egoshooter
Wird es Herbst, ergreift mich die Neugier auf polnisches Bier. Das war, habe ich beim Blick in alte Kolumnen festgestellt, schon die vergangenen zwei Jahre so. Möglicherweise liegt es daran, dass Pilzzeit ist und ich traditionell Bigos koche, den süßsauren Krauteintopf, der als Nationalgericht Polens gilt. Ganz sicher ist ein Grund, dass ich im Herbst nach malzbetonten, vollmundigen Bieren Ausschau halte. Und da habe ich mit Polen gute Erfahrungen gemacht.
Und jedes Jahr staune ich, was sich wieder getan hat. So richtig hat die Craft-Bier-Welle Polen erst vor acht Jahren erfasst und inzwischen soll es schon über 200 Mikrobrauereien im Land geben. Ohnehin blickt Polen, nach Deutschland und Großbritannien das Land mit dem drittgrößten Bierausstoß in der EU, auf eine sehr ausgeprägte Bierkultur zurück. In Danzig, so lese ich, habe es einst um die 400 Brauereien gegeben. Die Hansestadt war sogar für ein eigenes Bier bekannt, das Jopenbier, ein dunkler, leicht alkoholischer Malzsirup, der heute aber nicht mehr hergestellt wird. Ende der 1990er Jahre riss die Geschichte ab. Fast zwei Jahrzehnte war die Stadt an der Ostsee ohne eigenes Bier.
Das ist heute anders. Rund um die Jopengasse (Piwna) gibt es inzwischen fast ein Dutzend Craft-Bier-Bars, vor allem ist Danzig aber die Heimat einer Senkrechtstarterin in der polnischen Bierszene: der Browar Rockmill. Sie wurde 2017 von zwei ehemaligen Hausbrauern gegründet und gilt derzeit als die beste Craft-Bier-Brauerei des Landes.
Auf ihrer Website finde ich ein Sortiment von vierzig unterschiedlichen Bieren. Ich wähle das Fresh Vision, das die Beschreibung DDH Belgian IPA trägt. Diese Abkürzung steht für doppelt gehopftes belgisches India Pale Ale – man darf also ein recht bitteres Bier erwarten, das auch karamellige, saure Noten enthält.
Ich finde das Fresh Vision unentschieden. Es ist eine Geschmacksbombe. Die Brauer haben zu einer belgischen Hefe gegriffen, die einige Sauertöne ins Bier zaubert und in Verbindung mit dem Weizenmalz auch Nelkenaromen entwickelt. Dazu riecht es nach Vanille. All das habe ich auf der Zunge: Nelken, Vanille, zugleich harzige Kräuternoten und die für ein IPA obligatorischen Zitrus-Aromen. Etwas überreife Mango schmecke ich ebenfalls.
Fresh Vision DDH Belgian IPA, Browar Rockmill, 6,5 % vol.
Leider aber entwickelt sich dabei aber keine Dramatik, es ist eine reine Melange, ein fortwährendes Bämbämbäm. Es ist ein Bier wie ein Egoshooter, und ich frage mich, ob den Brauern der Erfolg nicht zu Kopf gestiegen ist. Wenigstens ist das Fresh Vision so ein gutes Beispiel dafür, dass auch beim Bier weniger manchmal mehr ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen