Joe Bidens konservative Netzpolitik: Schnüffelei-Freund an Obamas Seite
Mit Senator Biden hat der netzaffine Barack Obama einen potentiellen Vize ausgewählt, der für die Musikindustrie und mehr Überwachung streitet. Netzbürgerrechtler sind enttäuscht.
Passt der Vizepräsidentenkandidat Joseph "Joe" Biden, langjähriger Senator für den US-Bundesstaat Delaware, zu Barack Obamas "Change"-Agenda, die große Veränderung in der amerikanischen Politik verspricht? Über das Thema wird unter Anhängern des demokratischen Hoffnungsträgers seit Tagen heiß gestritten. Im Mittelpunkt der Debatte steht Bidens bisheriger, teils betonharter Politikstil in Sachen Internet, der Netzbürgerrechtsorganisationen zufolge kaum Gutes verheißt. Biden gilt dabei als teilweise deutlicher Widerspruch zum liberalen Obama, was die starke Online-Bewegung für Obama ("Netroots") verwundert.
Während sich der Präsidentschaftskandidat beispielsweise vehement für eine Überprüfung der von der Bush-Regierung eingeführten Überwachungsgesetze einsetzt, gilt sein Vize als "Champion" des umstrittenen "Patriot Act". Das Gesetz, das kurz nach den Terrorattacken des 11. September 2001 aus der Schublade geholt wurde, soll Teile einer Vorlage enthalten, die Biden 1995 angesichts von Anschlägen in Oklahoma City erarbeitet hatte und die den Behörden weitreichende Schnüffelvollmachten geben. Phil Zimmermann, bekannter Verschlüsselungsexperte und einer der großen Helden der frühen Internet-Privatsphärenbewegung, soll auf Bidens Gesetzesvorschläge hin sogar seine berühmte kostenlose Schutzsoftware "Pretty Good Privacy" (PGP) erfunden haben, mit der sich Nutzer vor staatlichen Eingriffen bewahren können.
Auch im Streit um das Online-Urheberrecht, einem weiteren heißen Eisen in Sachen Internet-Politik, gilt Biden nicht als Mann des Volkes. So wollte er im letzten Jahr unter anderem ein Gesetz durchbringen, das das Anfertigen einer Privatkopie weitgehend verbieten sollte und Nutzern in der Möglichkeit einschränkte, einzelne Songs von Internet- und Satelliten-Radios aufzunehmen. Auch in Sachen Dateitausch stimmt Biden im Sinne der Medienkonzerne: So schlug er im April vor, eine Milliarde Dollar aus Steuergeldern zu verwenden, damit die Polizei die Aktivitäten der Nutzer in den äußerst populären (aber dennoch illegalen) Peer-to-Peer-Netzen überwachen kann. Ein entsprechendes Programm trug den Namen "Operation Fairplay" - die Nutzer fühlten sich hingegen beschnüffelt.
Bei der Netzneutralität, einem weiteren für die Internet-Bürgerrechtler wichtigen Thema, ist Biden ebenfalls auf Seiten der Industrie. Während Obama fordert, dass Internet-Provider Datenverkehr nicht einseitig blockieren dürfen und jede Internet-Anwendung erlauben muss, gibt sich Biden skeptisch, ob hierzu neue Gesetze notwendig sind.
Obamas Beteuerungen, frischen Wind nach Washington zu holen und sich von der Firmenlobby deutlich weniger beeinflussen zu lassen, widerspreche die Wahl Bidens ebenfalls, sagen Kritiker im Netz. Tatsächlich ist Biden eng mit der Art, wie in der US-Hauptstadt gedacht und gehandelt wird, verbunden: Über 35 Jahre sitzt er bereits im Senat - als der heute 66-Jährige im Januar 1973 sein Amt antrat, war Obama gerade einmal 11 Jahre alt. Hinzu kommt, dass Biden als Senator Delaware vertritt, in dem 60 Prozent der "Fortune 500"-Topfirmen in den USA ihre Registrierung haben - der Bundesstaat gilt als besonders businessfreundlich.
Businessfreundlich gab sich Biden auch bei der Verabschiedung der Reform des US-Insolvenzrechts 2005: So geht eine Harvard-Studie davon aus, dass das von dem Senator mit vorangetriebene Gesetzeswerk - er war einer der wenigen Demokraten, die fast immer mit den konservativen Republikanern stimmten - die Profite der Kreditkartenindustrie deutlich erhöhte und die Rechte der Bürger in Notlagen einschränkte. Die Bankbranche hatte sich massiv dafür eingesetzt. In anderen Industriebelangen stimmte Biden aber durchaus auch gegen die "Fat Cats".
Kritik an Biden kommt außerdem aus dem Drogenliberalisierungslager. Der Senator stimmte unter anderem für das harte Anti-Ecstasy-Gesetz "RAVE Act" und gilt als Drogenkrieger alter Schule, während sich Obamas "Netroots"-Bewegung beispielsweise für die weitergehende Freigabe von Haschisch einsetzt.
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