Jobcenter gegen Lohndumping: Wer ist hier sittenwidrig?
Jobcenter sollen gegen Lohndumping vorgehen - allerdings erst, wenn das Gehalt deutlich unter 3 Euro pro Stunde liegt. Das stellt sich die Frage: Was ist sittenwidrig?
BERLIN taz | Die Bundesagentur für Arbeit (BA) will flächendeckend gegen sittenwidrige Löhne aktiv werden. In einer Dienstanweisung hat die BA den Jobcentern vorgeschrieben, gegen Arbeitgeber vorzugehen, die sogenannten Aufstockern, Erwerbstätigen, deren Lohn zum Lebensunterhalt nicht ausreicht und die zusätzlich Arbeitslosengeld II beziehen müssen, zu niedrige Löhne zahlen. Damit will die BA verhindern, dass Unternehmen auf Kosten der Steuerzahler ihre Löhne drücken.
Für Widerspruch sorgt allerdings die Grenze, die die BA in ihrer Dienstanweisung zieht: Demnach sollen die Jobcenter "im Regelfall" erst dann tätig werden, wenn die Löhne "deutlich unter 3 Euro pro Stunde liegen".
"Die 3-Euro-Grenze ist eine Zumutung", kritisierte Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Koblenz. "Eine große Gruppe von Aufstockern verdient zwischen 3 und 5 Euro. Diese Dumpinglöhne verschwinden in den Jobcentern von der Bildfläche", erklärte Sell.
Anja Huth, Sprecherin der BA, verwehrte sich am Mittwoch gegen die Vorwürfe. "Wir wollen, dass die Jobcenter bei Löhnen unter 3 Euro immer auf Sittenwidrigkeit prüfen. Bei höheren Löhnen liegt es in ihrem Ermessensspielraum, wir verweisen dabei ausdrücklich auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts."
Tatsächlich verschickte die BA ihre Dienstanweisung zusammen mit einem "Leitfaden Lohnwucher". Darin verweist die BA auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom April 2009. Danach ist ein Lohn dann sittenwidrig, "wenn die Entlohnung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht". Demnach müssten die Jobcenter in jedem Einzelfall aufwendig prüfen, ob Sittenwidrigkeit vorliegt. Im Friseurhandwerk Sachsen sind Stundenlöhne zum Beispiel erst dann sittenwidrig, wenn weniger als 2,04 Euro gezahlt werden. Im Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen liegt die Schallgrenze bei 5,15 Euro, wie die Hans-Böckler-Stiftung ermittelt hat. Derzeit gibt es knapp 1,4 Millionen Aufstocker. Im Juni 2009 arbeiteten 425.000 von ihnen Vollzeit. Von Januar bis September 2009 subventionierte der Staat die Aufstockerjobs mit 8,1 Milliarden Euro.
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