piwik no script img

JobWürdelos behandelt vom Arbeitsamt

Um absurde Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger geht es in der Broschüre "Wer nicht spurt, kriegt kein Geld". Die Kampagne gegen Hartz IV fordert daraus politische Konsequenzen.

"Hartz IV bedeutet Armut per Gesetz" - mit dieser und ähnlichen Parolen mobilisierten Erwerbslosengruppen gegen die am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Reformen der Arbeitslosengesetzgebung. Mehr als vier Jahre später hat die "Berliner Kampagne gegen Hartz IV" eine Broschüre vorgelegt, die untersucht, ob die von der Protestbewegung befürchteten Folgen eingetreten sind. Schon der Titel der Broschüre "Wer nicht spurt, kriegt kein Geld" verdeutlicht die These des Hefts. Bei den untersuchten Fällen steht die nach dem Gesetz vorgeschriebene Sanktionspraxis im Vordergrund. So kann ein nicht angetretener 1-Euro-Job ebenso zu Leistungskürzungen führen wie eine unvollständige Bewerbung oder ein versäumter Termin beim Jobcenter. Die Senatsverwaltung für Soziales sieht in der Broschüre eine Bestätigung ihrer bisherigen Kritik an den Arbeitsmarktreformen.

"Als wir anfingen, uns mit dem Thema zu beschäftigen, merkten wir, dass Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit laufen. Jeder kennt Hartz IV, aber von den Sanktionen weiß außer den Betroffenen kaum jemand", berichtet Claudia Daseking von der Berliner Anti-Hartz-IV-Kampagne. Zwischen Oktober 2007 und August 2008 verteilten Hartz-IV-GegnerInnen Fragebögen vor den Arbeitsagenturen, in denen die Betroffenen ihre Erfahrungen schildern sollten.

Daneben stützt sich die Broschüre auf zehn Fallbeispiele, die durch direkte Gespräche mit Betroffenen entstanden sind und das Ausmaß der Sanktionen deutlich machen. Da ist etwa der 30-jährige Industriekaufmann, dem das ALG II für mehrere Monate um 30 Prozent gekürzt wurde, weil er sich für einen vom Jobcenter angebotenen 1-Euro-Job schriftlich beworben hatte, nachdem er keinen telefonischen Kontakt bekommen hatte. Er sei aber ausdrücklich aufgefordert worden, sich telefonisch zu bewerben oder persönlich vorzustellen, so die Behörde.

Ein 23-jähriger türkischstämmiger Mann musste auf Druck des Jobcenters einen Kurs abbrechen, mit dem er sich auf einen Hauptschulabschluss vorbereiten wollte, weHil er dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung stehen müsse. Dafür verfügte die Behörde, dass der Arbeitssuchende einen ComputerkuHrs besuchen müsse, in dem er sich als Computerexperte nur langweilte. Schwerbehinderte waren von den Sanktionen ebenso betroffen wie allein erziehende Mütter oder ältere Menschen.

In der Broschüre kommen auch MitarbeiterInnen von Beratungsstellen zu Wort. So schildert Rosmarie Jäger von der "Werkstatt für Mensch und Arbeit", dass viele Erwerbslose Angst haben, zum Amt zu gehen, weil sie sich dort würdelos behandelt fühlten. Das bestätigt sich auch in den Antworten der Fragebögen. Dort wird vor allem beklagt, dass die Sanktionen als völlig ungerecht empfunden wurden und die Betroffenen den Eindruck hatten, dass ihre Einwände völlig ignoriert wurden.

Im letzten Teil der Broschüre werden politische Konsequenzen aus den Ergebnissen gefordert. An erster Stelle steht die Aussetzung aller Sanktionen. Ein solches Moratorium könnte nach Auffassung von Claudia Daseking Zeit für eine Abschaffung der Sanktionspraxis geben.

Katina Schubert, persönliche Referentin der Sozialsenatorin Heidi Knacke-Werner (Linke) sieht in diesen Ergebnissen eine Bestätigung der Politik ihrer Partei. Diese habe sich gegen Sanktionen beim Bezug von Arbeitslosengeld II gewandt, sagte Schubert der taz. Sie verweist zudem auf die Beschwerdestelle, die bei der Sozialsenatorin eingerichtet worden ist. Erwerbslose, die sich zu unrecht sanktioniert fühlen, könnten sich dorthin wenden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

5 Kommentare

 / 
  • KK
    Karl Kraus

    Hey, wisst ihr, was super ist? Wenn im Zuge der Finanzkrise demnächst weitere Massen an Leuten ihre Arbeit verlieren und nicht mal eben neue finden (wo denn auch?), dann sehen wir endlich, dass das ja auch alles Schmarotzer und Parasiten sind. Alles Pack dann.

    Merke: Wenn ich ein Problem mit meinem Leben habe, diesen dauernden geilen Drang verspüre, überall menschlichen Abschaum zu identifizieren und imaginär in den Dreck zu treten, dann ist die Sozialgesetzgebung der letzten Jahre genau mein Ding. Die Intensität, mit der die Stammtische dieses Landes Sanktionen gegen Bedürftige genießen, hat irgendwie etwas Sexuelles, so voller Lust geschieht es. Schauderhaft. Früher schrie man: Tötet sie! Heute schreit man: Sanktioniert sie, nehmt ihnen alles, vor allem ihr Selbstwertgefühl und ihre Zuversicht. Vernichtet die Armen, dann ist auch die Armut weg. Ist wohl ein Hobby der Deutschen (die ich andererseits irgendwie trotzdem mag!), den anderen zertreten zu wollen.

  • L
    LoVo

    Natürlich finde ich das System der Sanktionen und das ständige Drohen damit, auch nicht in Ordnung.

    Aber wenn sich z.B. ein Industriekaufmann das gefallen läßt, ist er mindestens zur Hälfte selber schuld, wenn er sich das einfach hinnimmt. Es steht ja jedem frei Rechtsmittel gegen seiner Ansicht nach fehlerhafte und unsinnige Bescheide einzulegen. Gerade im Sozialrecht sollten zumindest die ersten 2 Wege zur Widerspruchsstelle und zum Sozialgericht nicht so schwierig sein. Zumindest schon bei der Widerspruchsstelle werden in der Regel die gröbsten Schnitzer der Sachbearbeiter ausgebügelt.

     

    Man muß sich halt wehren gegen solchen Unsinn, auch rechtlich, nicht nur auf politischem Weg! Wenn das nur hingenommen und öffentlich darüber gejammert wird, ändert sich nichts.

  • AS
    Achim Stührmann

    @Hicky Haus

    Junge, dir merkt man an, dass du dich noch nie informiert hast.

    Versetz dich mal in folgende Lage:

    Du hast 30 Jahre eingezahlt, tausende Arbeitslose und Rentner finanziert, die Firma macht dicht, du bist zu alt und kommst auf Hartz IV.

    Danach wird dir zuerst ein Grossteil deiner seit Blüm propagierten privaten Altersvorsorge weggenommen und auf dem AMt triffst du auf geballte Inkompetenz und Arroganz der Mitarbeiter.

    Diese resultiert natürlich auch daraus,dass dieses unselige Gesetz auf Fachleute kaum verstehen und handlen können und hastig irgendwelche MA's "angelernt" werden.

    Anscheinend guckst du viel Dumm-TV,da wird nämlich(dem Staate wunschgemäß) vermittelt, H4ler verbringen den Tag mit Vögeln, saufen und Fernsehen.

    Also...erst informieren, dann Meinung bilden...erst denken, dann schreiben.

  • HH
    Hicky Haus

    "Wer nicht spurt, kriegt kein Geld" - ja, und das ist auch richtig so! Dass Fehler passieren wie die Sache mit dem Computerfachmann im Einsteigerkurs - okay, das gehört geändert, Fehler passieren nun mal überall. Dem Artikel nach zu urteilen wird auf Basis wohl tatsächlich absurder Einzelfälle das Grundprinzip "fördern und fordern" infrage gestellt, und das erscheint mir falsch.

     

    Dass Hartz-4-Empfänger dafür, dass sie von der Allgemeinheit mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden, wenigstns "spuren", um wieder selbständig leben zu können, sollte meiner Meinung nach eine Selbstverständlichkeit sein.

  • UB
    Undine Berger

    Und was ist mit der achso großzügigen Kindergelderhöhung (von sage und schreibe 10 Euro), die Hartz4-Empfängern in voller Höhe wieder abgezogen wird??? Redet darüber keiner oder wird das totgeschwiegen? Toll, wie damit die "Kinderarmut" bekämpft wird"...