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Jimmy Somerville über neues Album„Emotionaler Schrei des Herzens“

Jimmy Somerville, der Mann mit der Falsettstimme, will der Discomusik ihren politischen Sprengstoff wiedergeben. Ein Gespräch über Polyesterhosen und Kämpfe.

Stolz darauf, früh über Homosexualität geredet zu haben: Jimmy Somerville. Bild: imago/i Images
Interview von Franz X. A. Zipperer

taz: Mr Somerville, die Genresprache Disco müssten Sie doch fließend sprechen …

Jimmy Somerville: … na klar, schließlich habe ich mich in dieser musikalischen Sprache jeder Menge Coverversionen gewidmet, etwa Donna Summers „I Feel Love“ damals noch mit Bronski Beat. Von meiner darauf folgenden Formation, The Communards, gibt es Interpretationen von Thelma Houstons „Don’t Leave Me This Way“ und Gloria Gaynors „Never Can Say Goodbye.“ Jetzt hat sich der Kreis geschlossen und ich bin mit „Hommage“ wieder zu meiner großen Liebe Disco zurückgekehrt. Vielleicht ist der Spruch abgedroschen, aber er passt hier so schön – alte Liebe rostet nicht.

Und doch sollte erst gar kein Album erscheinen?

Ich habe zunächst lediglich an einer EP gearbeitet, sehr elektronisch und Lo-Fi. Nicht überproduziert, einfach nur zur Veröffentlichung im Internet. Dabei habe ich auch Discoschnipsel verarbeitet. Dadurch hatte ich Blut geleckt, und mir kam die Idee, meine Liebe zum Genre Disco ausführlicher zu reflektieren. Unmittelbar begann ich mit einer Freude an der Sache zu arbeiten und entdeckte dabei auch die Lust, mal ein Album zu machen, das vom ersten bis zum letzten Stück von mir geschrieben wurde. Und diese Lust ist wie ein Funke auf alle übergesprungen, die an diesem Album mitgearbeitet haben.

Nach Lo-Fi und Elektronik klingt „Hommage“ aber definitiv nicht.

Die zunächst rein elektronischen Klänge schrien einfach danach, groß werden zu dürfen. Und in Sachen Disco sind bei mir auch so viele Emotionen im Spiel, die erfordern die Wärme von ganz normalen Instrumenten. Wir haben deshalb konsequent auf Computer und Synthesizer verzichtet und zudem alles live eingespielt. Mit echten Streichern und echten Bläsern.

Ich habe alles getan, um der Disco-Musik ihren Enthusiasmus und ihre pure Emotion zurückzugeben. Deshalb sind auf der Platte auch große, hymnische Melodien zu hören, die mit Herzblut geschrieben sind und sonniger nicht sein könnten. Das war nur möglich, weil es nur um Musik ging – nicht um Egos, nicht um Dramen, nicht um Diven. Aber ich will auch durch einen kämpferischen Subtext Discomusik wieder zu ihren Wurzeln zurückführen und eine leidenschaftliche Erinnerung an ihr aufrührerisches Potenzial wachrufen.

um welchen kämpferischen Subtext und welches aufrührerische Potenzial geht es dabei?

Im Interview: Jimmy Somerville

Der nur 158 Zentimeter große Sänger stammt ursprünglich aus dem schottischen Glasgow, ist 53 Jahre alt, war Mitglied der Bands Bronski Beat (1983-1985) und The Communards (1985-1988) und kreierte mit ihnen farbenfrohe Synthie Pop-Hymnen.

Sein Markenzeichen ist sein Falsett-Gesang. In seinen Texten nimmt er das Thema Homosexualität immer wieder auf. Auch bereits zu Zeiten, als er dafür noch mit Schmähartikeln rechnen musste. „Homage“ (Membran Media) ist das sechste Soloalbum des Künstlers.

Damit spreche ich den ursprünglichen politischen Sprengstoff der Discomusik an. Das Genre Disco wird immer noch vom Grundsatz her missverstanden. Das hängt schlichtweg damit zusammen, dass dabei heutzutage jeder an irgendwelche Büropartys denkt, bei denen komische Leute mit Polyesterhosen und schrecklichen Kraushaarperücken zu Bee-Gees-Musik tanzen.

Doch in den Anfangstagen war Disco keine banale Tanzmusik, es war Teil des amerikanischen Untergrunds, sowohl ein Teil der schwarzen als auch der schwulen und lesbischen Subkultur. Es war eine soziale und politische Bewegung. Es ging um Freiheit und Befreiung. Dann jedoch schlug das weiße heterosexuelle Amerika zu und verleibte sich Disco ein. Und vertrieb die Schwarzen und die Schwulen aus dem Discoparadies. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist Disco zum Geschäftsmodell mutiert, mit dem Millionen verdient werden sollen und schließlich auch werden. Über Musik wird zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr gesprochen.

Gehört es auch zu Ihrem politischen Statement, dass die erste Live-Kostprobe der Discostücke aus „Homage“ bei der Aftershowparty zur Filmpremiere von „Pride“ im September 2014 im Electric Ballroom in Camden Town, London, zu hören waren?

Unbedingt, der Film „Pride“ von Regisseurs Matthew Warchus erzählt ebenfalls eine weitgehend vergessene Geschichte. Nämlich die der britischen Organisation Lesbians and Gays Support The Miners (LGSM) und ihr Engagement im Rahmen des Bergarbeiterstreiks von 1984. Und auch in diesem Zusammenhang hat Discomusik eine große Rolle gespielt. Denn fast genau 30 Jahre zuvor habe ich am gleichen Ort mit meiner Band Bronski Beat beim Benefizkonzert Pits & Perverts ebendiese Musik gespielt, um ordentlich Geld für die Unterstützungskasse der Bergarbeiter zusammenzubekommen.

Aber etwas ganz Wichtiges muss ich noch anmerken, damals wie heute ging und geht es, vermittelt durch die Discomusik, auch immer um etwas Positives. Etwas Optimistisches …

etwas, was das Kämpferische beflügelt, etwas, das Kraft verleiht?

… natürlich; denn diese Kraft wird nötiger denn je gebraucht. Wir leben in einer Zeit voller Unruhen, Umbrüche und Widersprüche – politisch, ökonomisch, aber auch persönlich. Das Erbauliche in meinen Liedern oder das, was ein Lächeln ins Gesicht zaubert, kann diese notwendige Kraft spenden. Ansonsten würden wir doch in der Unbill ertrinken und wären handlungsunfähig. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Nicht umsonst haben beispielsweise in Kriegszeiten an Theatern Shakespeares Komödien Hochkonjunktur. Oder denken Sie nur an die Beerdigungszeremonien in New Orleans, wo Tod und Freude nah beieinander sind.

Wenn wir schon über Kraft, Wirkung und kämpferische Untertöne sprechen, dann ist unbedingt darauf hinzuweisen, dass vor 30 Jahren das Bronski-Beat-Stück „Smalltown Boy“ erschien. Das Lied hatte Einfluss auf eine ganze Generation von Homosexuellen, wie wichtig ist es heute noch?

Als jemand, der selbst aus einer kleineren Stadt kommt und für den es als bekennenden Homosexuellen in Glasgow sogar gefährlich wurde, wusste ich, wovon ich rede. Und ich bin stolz darauf, darüber geredet zu haben. Ich bin mir auch des Einflusses bewusst, den „Smalltown Boy“ noch heute auf die jüngste Generation Schwuler hat. Das ist ein emotionaler Schrei des Herzens. Das Stück ist ehrlich und roh, und es hat noch die Macht, Leute zu bewegen. Und dass sich die Leute bewegen, ist so lange wichtig, solange es noch Länder gibt, in denen Leute wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert, gejagt und misshandelt werden.

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