Jim Thomes 600. Homerun: Rückkehr der Unschuld
Wieder einmal wird in der MLB eine Homerun-Schallmauer durchbrochen: Jim Thome schlug seinen 600. Homerun. Ist damit das Steroid-Zeitalter im Baseball Geschichte?
BERLIN taz | Es war ein großer Tag für Jim Thome. Am Montagabend schlug er beim 9:6-Erfolg seiner Minnesota Twins bei den Detroit Tigers den 600. Homerun seiner Karriere. Er ist erst der achte Spieler in der Geschichte des US-Baseballs, dem dies gelang. Thome wurde gefeiert.
Auch die Tigers-Fans erhoben sich von ihren Plätzen und jubelten dem Schlagmann zu. Der wurde von seiner mitgereisten Familie geherzt und sagte: "Du träumst davon, aber wenn es dann wirklich passiert, dann ist es irgendwie unwirklich. Eine saubere Sache, wirklich."
Noch in den ersten Jubel darüber, dass es wieder einmal einer geschafft hat, die 600er Schallmauer an Homeruns zu durchbrechen, mischten sich die ersten Diskussionen darüber, ob man einen wie Thome wirklich feiern darf. Seit die Anabolika-Monster am Baseball-Schläger zu dominieren begannen, fiel der Jubel über neue Rekordmarken nicht selten ganz aus.
Nun aber reiht sich mit dem 40-jährigen Thome einer in die Riege der besten Hitter ein, der nie im Verdacht stand, etwas mit Doping zu tun zu haben. Und doch sind ihm die meisten seiner Schläge auf die Tribünendächer in der Zeit gelungen, die in den USA längst als Steroid-Ära bezeichnet wird. Eigentlich hatte man sich in den Staaten darauf geeinigt, nur drei Baseballer für ihre Homeruns zu rühmen. Babe Ruth, Willie Mays und Hank Aaron. Ersterer spielte von 1914 bis 1935 in der Major League Baseball, die anderen beiden von den 50ern bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Lang, lang ists her. Alles was nach den legendären drei kam, gilt irgendwie als bäh - bis der als brav geltende Thome kam.
Alex Rodriguez, Barry Bonds
Den will so recht keiner in eine Reihe stellen mit Superstar Alex Rodriguez, der 613 Homeruns geschlagen hat und vor zwei Jahren zugeben musste, zumindest in den Jahren 2001 bis 2003 Anabolika genommen zu haben. Und schon gar nicht will man Thome mit dem arroganten Barry Bonds vergleichen, jenem irrwitzig starken Hünen, der mit 762 Homeruns mehr Bälle auf die Tribünen geschlagen hat als jeder andere in der Geschichte der Liga und der immer noch nicht zugeben will, wovon längst alle ausgehen: dass er einer der größten Doping-Junkies in der Geschichte der MLB war. Bonds ist ohne Zweifel eine der Hauptfiguren jener Steroid-Ära, von der keiner so recht weiß, wann sie genau begonnen hat und ob sie überhaupt schon zu Ende ist.
Seit aufgeblasene Riesen wie Bonds die Szene geentert haben, waren Bestleistungen, über die man zuvor noch gestaunt hätte, plötzlich normal. Zwischen 1993 und 2003 schlugen jeweils zehn Spieler 50 Homeruns pro Saison. 43 Spieler brachten es immerhin auf 40 Schläge über die Spielfeldbegrenzung hinaus. Joe Posanski, Kolumnist von Sports Illustrated, bringt den Verdacht, der mit jedem Schlag dieser Zeit mitschwang, auf den Punkt: "Der Homerun hatte seine Unschuld verloren. Spieler, die die unvorstellbaren Schallmauern durchbrachen - 300, 400, 500 Homeruns - glaubten, sie bräuchten einen Strafverteidiger, sobald sie das Home Plate erreichten."
Die Steroid-Ära
Jim Thome weiß um all die Enthüllungen und Verdächtigungen, die Steroid-Ära betreffend. "Im Endeffekt ist es doch so, dass es auch in dieser Zeit nicht jeder getan hat, das darf man nicht vergessen", sagte er am Montagabend. "Da gab es immer Jungs, die den rechten Weg nicht verlassen haben. Und wenn du Glück hast, lange spielen kannst und den rechten Weg nicht verlässt, dann fühlst du dich einfach gut. Genau, am Ende fühlst du dich gut."
Jim Thome, der in seiner langen Karriere, die ihn von den Cleveland Indians (1991-2002) über die Philadelphia Phillies (2003-2005), die Chicago White Sox (2006-2009) und die Los Angeles Dodgers (2009) zu den Minnesota Twins (seit 2010) führte, nie die World Series gewinnen konnte, fühlte sich sichtlich wohl in der Rolle des sauberen Helden. Die ersten Kommentatoren in den USA haben bereits eine Debatte über Thomes Aufnahme in die Hall of Fame angestoßen. Die Sehnsucht nach dem endgültigen Ende der Steroid-Ära ist groß in den USA.
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