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Jetzt stürzen beide

Gleichgewichtsprobleme allüberall: Thomas Langhoff inszeniert Botho Strauß' jüngstes Bühnen-Parlando am Deutschen Theater Berlin  ■ Von Esther Slevogt

Alles beginnt auf einem U- Bahnhof in Berlin, der Stadt mit den zwei Leben. Hier sitzt Lilly Groth, die ebenfalls zwei Leben hat. Ein bürgerliches als Frau des Ökonomieprofessors Christian Groth. Ein anderes eben hier, im Untergrund, als punkige Zeitungsverkäuferin mit Liebesverhältnis zu einem Rockmusiker namens Jacques Le Coer. Als der Ehemann mit sturem Sinn für klare Verhältnisse Lillys außereheliches Liebesleben nicht länger dulden mag, gerät die Dame aus dem Gleichgewicht. „Wenn dieses zweite Leben nie gewesen ist, bricht auch das Leben ein mit dir... Zwei Leben, eines war des anderen Halt, jetzt stürzen beide.“

Doch auch der Gatte hat ein Gleichgewichtsproblem, in das ihn die Langeweile eines Forschungsaufenthalts im fernen Canberra stürzte – schließlich gibt es für Ökonomen heutzutage aufregendere Orte als ausgerechnet Australien. Sofia oder Kiew zum Beispiel, im aufgetauten Ostblock. Aber glücklicherweise traf er down under einen japanischen Kollegen, Konjunkturtheoretiker und Zen- Meister in Personalunion, der ihn in der Kunst des Bogenschießens unterrichtete. Jetzt ist er wieder im Lot, der Herr – und zurück im heimatlichen Berlin, wo nichts mehr im Lot ist. Gleichgewichtsstörungen an jeder Ecke. Und jede Menge Drama sowieso.

„Das Gleichgewicht“ hat Botho Strauß sein jüngstes Stück genannt. Wir begegnen wieder seinen altbekannten Paaren und Passanten. Und ihren gemischten Gefühlen im Angesicht der ach so fürchterlich modernen Zeit. Nur daß der Schauplatz dieses Abends mal ein anderer ist. Nicht jene Bühne, auf der die Strauß-Figuren stets aus dem Papier bleiben, auf das sie gedruckt waren (auch wenn sie längst Libgart Schwarz oder Jutta Lampe hießen). Wir sind im Deutschen Theater, Ostberlin, wo sich Thomas Langhoff den westdeutschesten aller westdeutschen Dramatiker vorgenommen hat.

Lilly Groth heißt Dagmar Manzel und ist aus echtem Fleisch und Blut. Auch kleineren Figuren wie Gregor Neuhaus (Christian Grashof) und Marianne Abel (Jutta Wachowiak) bekommt die Distanz des von Osten kommenden Blickes zunächst gar nicht schlecht. Aber als Christoph Groth alias Jürgen Hentsch im Bogenschützendress die Szene betritt, ist Langhoff schon mit seinem Latein am Ende. Von da an ist der Abend aus den Fugen.

Langhoff sucht Rettung vor Botho Strauß im Botho-Strauß- Klischee. Dagmar Manzel verfängt sich zusehends im Pathos ihrer unergründeten Figur, und Hentschs Christoph Groth bleibt schlicht ein blasser Mann mit vielen Eigenschaften. Mal schöngeistiges Ekel, mal hochtrabend parlierendes Sensibelchen. Im grauen Anzug dann ein kalter, ein böser Managertyp, ein Westler, wie er im Buche steht.

Dem Fortgang folgt man lustlos. Ohnehin ist der gespreizte Ton streckenweise nur schwer erträglich. Auch weil Thomas Langhoff ihm nichts hinzuzufügen hat. Wann immer es im Gebälk der Phrasen knackt und ächzt, setzt bedeutungsschwer Musik ein, die Figuren hinwegzuheben. Man weiß nur nicht wohin.

Seine stärksten Momente hat der Abend, wenn im Szenenwechsel die Bühne von Peter Schubert mit der Musik von Uwe Hilprecht und Bo Kondren allein gelassen ist. Im Halbdunkel bewegen sich gewaltige Kulissenmassen. Stadtvisionen in düsterer Bedrohlichkeit.

Die Stadt, Schauplatz der Mythen und Tragödien des Alltags – einen ähnlichen Versuch hat es ja vor ziemlich genau zwei Jahren mit Lothar Trolles „Hermes in der Stadt“ gegeben. Der war auch nicht unbedingt geglückt, doch die Erinnerung daran macht fast erschreckend deutlich, wie seicht die Gewässer an diesem Haus inzwischen geworden sind. Vom Deutschen Theater hat man sich ganz anderes erhofft. Labor hätte es werden sollen (und können), worin die neue Zeit sich selber ausprobiert.

Vor 1989 hätte ein Botho- Strauß-Stück im Staat und im Theater niemanden groß interessiert, zitierte der Tagesspiegel Thomas Langhoff in der vergangenen Woche. Jetzt aber säße ihnen Botho Strauß im Nacken. Daß wirklich Strauß dort sitzt, muß allerdings bezweifelt werden. Im Nacken sitzt dem Deutschen Theater allerhöchstens sein Chefdramaturg, der mit Macht daran arbeitet, dem Haus ein westdeutsches Stadttheaterprofil zu verpassen.

Daß Langhoff den Strauß nun so völlig glanzlos in den Sand gesetzt hat, ist deshalb fast ein Hoffnungszeichen. Noch ist das Deutsche Theater nicht verloren. Es muß sich nur an sich selbst erinnern.

Botho Strauß: „Das Gleichgewicht“. Deutsches Theater, Berlin; Inszenierung: Thomas Langhoff; Bühnenbild und Kostüme: Peter Schubert; Musik: Uwe Hilprecht, Bo Kondren. Mit: Dagmar Manzel, Jürgen Hentsch, Guntram Brattia, Christian Grashof, Jutta Wachowiak, Jörg Gudzuhn, Ignaz Kirchner u.a.

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