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■ Der ehemalige Daimler-Chef wird öffentlich demontiertJetzt sind die Bosse dran

„Bei mir herrscht totale Offenheit“, sagte Jürgen Schrempp, der neue Chef von Daimler-Benz, bei seinem Amtsantritt. So offen hatte er sich das wohl nicht vorgestellt. Die Fehler seines Vorgängers Edzard Reuter – der Daimler-Führung überhaupt – werden seit Wochen in allen Medien diskutiert – inklusive aller Details offenbar miserabler Verträge beim Kauf neuer Unternehmen durch den größten Konzern der Republik. Daß Edzard Reuter gerne im Rampenlicht steht, war schon zu seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender offensichtlich und hat seine Vorstandskollegen bestimmt wenig begeistert. Die Chefetagen von Daimler glichen, so das langjährige Vorstandsmitglied Gerhard Liener, einem Schmierentheater. Intrigen gegen den jeweiligen Chef, wichtige Informationen, die nicht weitergegeben, Kollegen, die abgekanzelt wurden. Selbst die dümmsten Vorurteile über machtgeile Manager stellen sich als gerechtfertigt heraus.

Das alles erklärt das Nachtreten gegen Edzard Reuter. Kaum war er vorzeitig vom Vorstandsposten zurückgetreten und in den Aufsichtsrat übergewechselt, kamen immer neue Details ans Licht. Die gedackelten früheren Untergebenen rächen sich mit der öffentlichen Demontage einer der bekanntesten Figuren der deutschen Industrie.

Doch dahinter steckt mehr. Selbstherrliche Konzernherren gab es schon immer. Aber bislang hat die unmittelbare Umgebung meist die Zähne zusammengebissen, zur Pensionierung eine schmalztriefende Festrede gehalten und ansonsten geschwiegen. In den letzten Jahren jedoch wurde auch die deutsche Industrie von der Mediengesellschaft eingeholt. Erst wurde jedes mögliche und unmögliche Detail aus dem Leben einer Jackie Kennedy oder Prinzessin Caroline von Monaco verbreitet.

Dann traf es die Politiker. Franz Josef Strauß konnte in den Sechzigern und Siebzigern noch jeden seiner zahlreichen Skandale mit seiner breiten Statur aussitzen, weil die letzten Beweise meist fehlten. Sein Nachfolger Max Streibl stürzte schon polternd über frei an die Presse gelieferte Details aus „gut unterrichteter Quelle“. Ex-Ministerpräsident Lothar Späth konnte viele unerfreuliche Details über die Finanzierung seiner Privatreisen lesen, und die internen Papiere der SPD werden ebenso in hoher Auflage verbreitet.

Nachdem die Politiker in der Öffentlichkeit zunehmend weniger ernst genommen werden, sind nun die letzten verbleibenden Lenker der Nation dran: die Vorstände der Wirtschaft. Der Charakter der Bosse wird zu einem Faktor für das Vertrauen in das Unternehmen – für die Untergebenen kann das kein Schaden sein. Reiner Metzger

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