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Wand und BodenJetzt klopft er ihr viermal auf den Kopf

■ Kunst in Berlin jetzt: Beatrice Wrobel, Nynke Deinema, Anja Knecht, Qin Yufen, Liz Crossley

Die Schwarzweißfotografien, die Beatrice Wrobel mit ihrer Lochkamera produziert, erinnern an Lichtspiele à la Alfred Hitchcock. Vornehmlich an Psycho. Man meint eine Treppe nach oben und eine Treppe in den Keller zu erkennen. Wahrscheinlich ist es die gleiche Treppe, aber in den gegenläufigen Beobachterperspektiven ist sie als solche nicht erkennbar. Das Haus, in dem sie sich befindet, mutet entsprechend alt und düster an. Aber auch hier ahnt man, daß es sich anders verhalten könnte. Schließlich ist auf den großformatigen Abzügen nicht sonderlich viel zu sehen: Die Knie und Füße eines Körpers, der beim Fotografieren miterfaßt wurde und damit als der Körper der Fotografierenden kenntlich wird; unter diesen Füßen oder gegenüber diesen Knien die Treppen, die ins Ungefähre entschwinden. Dazwischen entleert gleißend helles Licht den eigentlichen Bildmittelpunkt. Vielleicht erscheint im Eingangsraum der Galerie Weißer Elefant deshalb die farbige Diaprojektion ähnlicher Raum- und Körpersituationen wie ein achtzigteiliges Mantra.

In der Werkstatt nebenan zeigt Nynke Deinema, wie Beatrice Wrobel Studentin an der HdK, ihr Video über einen Stotterer. Sein Handicap brachte ihn dazu, die Taubstummensprache zu erlernen, um sich effektiver, was wohl heißt, schneller verständlich machen zu können. Seine Freundin verwechselte aber ständig seine Zeichen für Geld und Tschüß. Jetzt klopft er ihr viermal auf den Kopf, und sie weiß, es geht um Geld. Deinema hat ihre Kamera starr auf die Schulter- und Brustpartie des Stotternden gerichtet, dessen Gesicht nicht zu sehen ist. Nur seine Hände ergänzen beredt seine ruckhaft gesprochene Geschichte.

Bis 16. 11., Di.-Fr. 14-19,

Sa. 15-18 Uhr, Almstadtstr. 11.

Heute geänderte Öffnungszeiten: 17-21 Uhr

Runde Gebilde läßt auch Anja Knecht, ehemalige Meisterschülerin von Rebecca Horn und Valie Export, aus einem dunklen, schwarzen Umfeld hervortreten. Die Ästhetik ihrer Fotoinstallation „Rejeter Rejeton“ in der Galerie im Parkhaus erinnert einmal mehr an die Lochkameraperspektive, darüber hinaus aber auch an digitale Bildbearbeitungstechniken. Das Problem des Übergangs von alten Konventionen zur neuen Technik wird über die Undeutbarkeit der fotografierten, kreisförmigen Objekte als Thema kenntlich. Sie könnten knusprige Plätzchen sein, grafische Erfindungen des Computers oder Bakterienstämme in vitro. Die Belegkraft des Fotos ist dahin, nun läßt man sich „Des(s)erts – verlassene Nachtische, Foto, Ton, Video“ auftischen. Dazu begibt man sich an einen Tisch in einem abgedunkelten Raum. Ein Videobeam projiziert auf eine auf dem Tisch stehende Servierplatte ununterbrochen weitere, kreisrunde Abstraktionen. Seitlich aus dem Dunkel dringen Stimmen zum Tisch herüber. Auch hier ist es schwer, dem Stimmengemurmel, das zwischen mehreren Lautsprechern zirkuliert, Informationen zu entnehmen. Denn die Fragen und Sätze sind in chinesischen Dialekten, in australischem und amerikanischem Englisch, auf Französisch, Italienisch und Deutsch formuliert. Hineinsehen und heraushören könnte das Motto für Anja Knechts Ausstellungsdebüt in Berlin sein. Eigentlich ein altes Spiel.

Bis 8. 11., Mi.-Sa. 15-19 Uhr, Puschkinallee 5

Auch bei Qin Yufen mischen sich die Töne der Klanginstallation „Lichtklang“ im Souterrain des Erweiterungsbaus des Georg Kolbe Museums mit der primär visuell angelegten Installation im Erdgeschoß. Diese trägt zwar den Titel „Klanghören“, doch eigentlich geht es um den Klang der Stille. Da allerdings eine offene Wendeltreppe die zwei Räume verbindet, dringen von unten leise Töne herauf. Im oberen Raum läßt Qin Yufen von der Decke an Bindfäden hängende Kieselsteine rieseln, in unterschiedlicher Höhe, aber streng in einer Reihe. Der zarte Vorhang mit den gleichsam tanzenden Kieselsteinen läßt sich durchaus als ein Notenblatt deuten. Das bunte Steingeriesel konterkariert dabei die strenge Anordnung der neun Tatami-Matten, die dazu einzuladen scheinen, sich vor dem Vorhang zur Meditation niederzulassen. Auch im unteren Raum trennt ein Vorhang den Raum in seiner vollen Länge. Vor der Oberlichtzone sind Transparentkupferkabel dicht an dicht zwischen Decke und Boden gespannt, wie die Saiten eines Musikinstruments. Ihr Ende bilden kleine Lautsprecher, rund 300 Stück, aus denen die verfremdete Musik der Pipa, eines lautenähnlichen chinesischen Saiteninstruments, ertönt. „Pipaxing“ ist der Titel einer Ballade, in der der chinesische Dichter Bai Jiuyi die Schönheit der Klänge dieses Instruments besingt. Pipaxing heißt „Pipa beim Gehen“, oder besser „Pipa beim Abschiednehmen“, und gibt den beiden Räumen ihren übergreifenden Titel. Aber wie es wohl beabsichtigt ist: Die schlichte Eleganz der Räume, die Qin Yufen mit ihrer Fadenarbeit konstruiert, und die serielle Konzentration der Musik lassen einen zögern zu gehen.

Bis 7. 11., Di.-So. 10-17 Uhr, Sensburger Allee 25

So fernöstlich meditativ Pipaxing anmutet, so afrikanisch glut- und erdfarben scheinen die Leinwände von Liz Crossley pigmentiert. Liz Crossley, die wie Qin Yufen seit 1986 in Berlin lebt, stammt aus Südafrika, aus Kimberley, einer Stadt am Rande der Kalahari Wüste. Zur Serie „Kalahari City“, die sich wie eine „primitive“ topographische Aufzeichnung liest, gelangt man entlang der Bücherregale, in denen links das Journal of Differential Equations und rechts das Journal of Mathematical Physics stehen: Die goldbedeckte, rot leuchtende und tief blau pulsierende Bilderwelt von Crossleys „Land = Afrika“ ist in der sachlich-hellen Galerie der Mathematischen Fachbibliothek der TU ausgestellt. Ein Zusammenhang scheint zu bestehen. Unter der obersten Schicht eines Malduktus, der der europäischen Moderne verpflichtet ist, liegt wie bei einem Palimpsest ein weiterer, ausgedünnter, aber doch lesbarer Schriftzug. Die Gleichung, die er aufmacht, spricht von einer langen Dauer, jenseits der Geschichte.

Bis 12. 11., Mo.-Fr. 9-20 Uhr, Straße des 17. Juni 136

Brigitte Werneburg

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