piwik no script img

„Jetzt gilt nur noch ein Kommando“

■ Westbeirut unter syrischer Kontrolle / Die Geschäfte sind wieder gefüllt, die Schäden werden beseitigt Razzien und Straßenkontrollen / Die Hizballah sieht eine „neue Phase des Leidens und der Prüfung“

Aus Beirut Petra Groll

Gerade zehn Tage sind vergangen, seit im Westteil der libanesischen Hauptstadt Beirut die Milizen der Schiitenbewegung Amal einerseits und der drusischen progressiv–sozialistischen Partei und der libanesischen KP andererseits in wilden Straßenkämpfen um die Macht in der Stadt rangen. Erst der Einmarsch von 7.000 syrischen Soldaten beendete die Schlacht, der an fünf Kriegstagen an die 500 Menschen zum Opfer fielen. „Es wird keine Scharfschützen mehr geben, die die Zivilisation zerstören und unschuldige Menschen umbringen“, heißt es auf Flugblättern und Plakaten, die verteilt werden, wo immer die Syrer Position beziehen. Allenthalben überschaut das Portrait des syrischen Staatschefs Assad das Geschehen. Ausgebrannte Autos am Straßenrand und verrußte Häuser sind in einigen Stadtteilen zurückgeblieben. Überall sind Handwerker bemüht, zerborstene Scheiben zu ersetzen. Auch in Westbeiruts Hauptgeschäftsstraße Hamra ist so manche Schaufensterauslage noch zum Greifen nahe. Am Tage herrscht hier rege Betriebsamkeit. Straßenhändler haben ihr Angebot auf Ständen und Tischen ausgebreitet, notfalls an Hauswände gehängt. Die im Libanon so beliebten philippinischen Haussklaven schleppen Plastiktüten voller Lebensmittel. In der ersten warmen Frühlingssonne präsentieren junge Frauen die neuesten Modelle der Sonnenbrillenmode. In den Nebenstraßen von Hamra preisen Gemüsehändler frische Ware an, die Regale der Supermärkte werden wieder gefüllt. Zufrieden zählte schon am Mittag ein Straßenverkäufer seine Einnahmen. Ein einziger Gebäckkringel ist auf seinem Handkarren liegengeblie ben. „Seit zwei, drei Tagen läuft das Geschäft wieder“, freut er sich. Wer heute in Westbeirut noch Uniformen trägt, gehört entweder zur syrischen Armee oder zu den syrischen Sicherheitstruppen. An der ehemaligen Journalistenab steige, dem Hotel Commodore, haben die Syrer an jeder Ecke der Straßenkreuzung hinter Sandsackbarrikaden ein Maschinengewehr montiert. Dreier–Patrouillen kontrollieren den Häuser block. Im Hotel wurde von Zimmer zu Zimmer gekämpft. Es wird eine Weile dauern, bis die Verwüstungen beseitigt sind. „Mehr als 50 Angestellte haben ihren Job verloren, und der Besitzer sorgt sich um seinen Papagei, der während der Kämpfe verloren ging“, entrüstet sich eine libanesische Journalistin. „500 Dollar Finderlohn hat er für den Kakadu ausgesetzt. Wenn das blöde Vieh ausgerechnet in eines der Palästinenserlager geflogen ist, hat es schlechte Aussichten - dort haben sie ja schon Hunde gegessen.“ Der ärgste Hunger, der seit vier Monaten belagerten Palästinenser konnte in den vergangenen Tagen gelindert werden, Mehl und Trockenmilchpulver wurden nach Bourj–el–Brajneh und Chatila ge bracht. Bislang aber kann niemand die Lager gefahrlos betreten oder verlassen, Scharfschützen beherrschen das Scenario. Ein weiterer Prüfstein für die Effektivität des syrischen Sicherheitspla nes für Beirut sind die mehrheitlich von Schiiten bewohnten südlichen Vororte der Hauptstadt. Obwohl die Syrer täglich von neuen Straßenzügen Besitz ergreifen, sind sie dort nicht vorgedrungen. Zwar sieht man auch in Bir el Arbed keine bewaffneten Milizen mehr auf den Straßen, aber die schwarzen Fahnen der Trauer verheißen düstere Stimmung. Noch am Sonntag wurde in den Moscheen und Husseiniyes der Teheran–orientierten Schiiten– Partei Hizballah um 23 Milizionäre getrauert, die vergangene Woche die Fatallah–Kaserne im Westbeiruter Stadtteil Basta nicht freiwillig den Syrern überlassen wollten. In der Imam–Rida Moschee verkündete am Sonntag noch der Prediger Hassan Nasrallah den Hizballah–Anhängern das Gebot der Stunde: „Wir Schiiten befinden uns in einer neuen Phase des Leidens und der Prüfung“. Die islamische Bewegung mit ihren Zielen, Gewohnheiten, Traditionen und Ritualen sei in Gefahr, sagte er und rief die Gläubigen auf, sich nicht den Bart, Symbol des heiligen Krieges, abnehmen zu lassen. „Wir sind bereit, für unsere islamischen Rituale zu sterben“, beschwor er die Parteigänger von Hizballah, „auch die Schwestern sollen ihren Schleier nicht ablegen.“ Die islamische Bewegung im Libanon solle zerschlagen werden, weil sie den USA und Israel gefährlich geworden sei. „Wir werden in Beirut bleiben“, verkündete er, „niemand wird uns vertreiben können.“ Die rauchenden Vollbärte sind dennoch völlig aus der Westbeiruter Mode gekommen, bei den Frisören herrscht Hochbetrieb. Wenigstens die äußeren Zeichen der Parteilichkeit werden beseitigt. Allmorgendlich berichten die Radiosender von den Razzien der Syrer. Den Parteien wurden Listen mit jeweils mehr als 100 Namen von Personen überreicht, die dem syrischen Geheimdienst als Kämpfer der vergangenen Wochen bekannt sind. Die Männer sollen ausgeliefert werden. Hier und da kann man beobachten, wie Handwaffen und Munitionskisten abtransportiert werden, an Kontrollposten Autos durchsucht und Insassen sogar einer Leibesvisitation unterzogen werden. Der tatsächliche Erfolg der syrischen Befriedungsinitiative wird sich erst in den kommenden Wochen zeigen, wenn es gilt, Klarheit ins Politische Chaos des Landes zu bringen. Mißtrauisch und der Gunst der Stunde folgend, nehmen die Beirutis derzeit die Möglichkeit wahr, zu flicken, was zu flicken ist, und warten ab. „Einen Vorteil hat die ganze Situation“, sagt ein Zeitungsverkäufer, „man muß sich nicht dauernd von einer Miliz auf die nächste einstellen. Jetzt gilt nur noch ein Kommando.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen