■ Polizei stürmt Sekten-Hauptquartier in Texas: „Jesus Christus“ benutzte Kaliber 50
Waco/USA (AP/dpa/taz) – Bei zwei Feuergefechten zwischen Polizisten und schwerbewaffneten Anhängern der „Davidianer“- Sekte sind am Sonntag in der Nähe von Waco im US-Staat Texas mindestens sechs Menschen – vier Beamte und zwei Sektenmitglieder – ums Leben gekommen. Fünfzehn Polizeiagenten und mehrere Angehörige der Religionsgemeinschaft wurden zum Teil schwer verletzt. Nach Darstellung des Sektenführers soll ein zweijähriges Kind unter den Toten sein. Von den Behörden wurde dies nicht bestätigt.
Schauplatz des Dramas war ein von der Sekte als „Berg Karmel“ bezeichneter festungsartiger Komplex auf dem 30 Hektar großen Gelände der „Davidianer“ rund 15 Kilometer östlich von Waco.
Zu der ersten Schießerei kam es, als am Sonntag morgen über 100 Agenten des Bundesamtes für Alkohol, Tabak und Schußwaffen (ATF), einer Einrichtung des US- Finanzministeriums, und anderer Polizeibehörden mit Durchsuchungs- und Haftbefehlen anrückten, um nach Waffen und Sprengstoff zu fahnden und den Sektenführer Vernon Howell zu verhaften, der sich als Jesus Christus bezeichnet.
An dem Einsatz waren auch drei Hubschrauber der Nationalgarde beteiligt. Die Agenten waren, in Viehtransportwagen versteckt, am zentralen Gebäude des Komplexes vorgefahren. Die „Festung“ wird von einem Turm mit Schießscharten beherrscht. Nach Angaben der Behörden wurden die Agenten sofort bei ihrer Ankunft unter Feuer genommen. Howell hingegen beteuerte im Fernsehen: „Sie haben zuerst auf uns geschossen.“
Nach rund 45minütigem Gefecht einigten sich Vertreter beider Seiten auf einen Waffenstillstand. Dann transportierten Rettungswagen und Hubschrauber Opfer ab, während ATF-Leute, Landes- und Ortspolizisten den Komplex belagerten.
Zwei ATF-Agenten wurden bei der Einlieferung ins Hillcrest-Baptistenkrankenhaus in Waco für tot erklärt, ein anderer starb nach der Aufnahme, ein vierter erlag im Providence-Hospital in Waco seinen Verletzungen. Einer der Beamten wurde von einem Schuß aus einem Maschinengewehr Kaliber 50 getroffen – einer Militärwaffe, die gegen Panzer und Flugzeuge eingesetzt wird. Auch ein Sektenmitglied starb laut ATF bei diesem Kampf. Von den 15 verletzten Beamten mußten die meisten zur stationären Behandlung in den Krankenhäusern bleiben. Viele von ihnen haben Schrotschußwunden.
Am Abend gegen 19.00 Uhr gab es das zweite Gefecht. Les Stanford von der ATF-Zentrale in Washington berichtete, um diese Zeit seien drei Sektenmitglieder aus dem Komplex gekommen und hätten auf die Polizisten gefeuert. Einer sei erschossen, der andere gefangengenommen worden, der dritte habe sich, offenbar verletzt, in das Gebäude zurückziehen können.
Die Sekte firmiert als „Davidianische Linie“. Sie bezeichnet sich als Zweig der Kirche der Siebentage-Adventisten, die jedoch von ihr nichts wissen will. Die Sekte entstand 1934 infolge eines Streits um die Bibelauslegung. Sie zog ein Jahr später von Los Angeles in Kalifornien nach Texas um. Ihr Chef, der 33jährige Vernon Howell, legt die Heilige Schrift sehr freizügig aus: „Wenn die Bibel stimmt, dann bin ich Christus. Aber was soll's? Was war denn vor 2.000 Jahren? Was ist so toll daran, Christus zu sein? Ein Mann des Leids, der den Schmerz kennt. Wissen Sie, Christus sein ist überhaupt nichts.“
Es war bereits die zweite Schießerei auf dem Komplex. Howell und sieben andere waren als Folge eines 1987 ausgefochtenen Kampfes mit einem früheren Sektenführer wegen versuchten Mordes angeklagt worden. Zu einer Verurteilung kam es nicht.
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