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Jenseits vom religiösen FundamentalismusGesprengte Ketten

Reza Hajatpour kehrte der islamischen Revolution den Rücken, lehrt an der Uni Bamberg. Herbert Steffen verließ das Priesterseminar und fördert Kirchenkritiker Zwei Portraits.

Einmal gläubig immer gläubig? Hajatpour und Steffen haben sich von ihrer Religion emanzipiert. Bild: dpa

Reza Hajatpour kämpfte früher als Mullah für die islamische Revolution, bevor er Islamwissenschaftler wurde.

Der Zweifel verbirgt sich unter einem schwarzen Schleier. "Ihr Bruder starb den Märtyrertod", flüstert die Frauenstimme unter dem Tschador: "Sie müssen sehr stolz sein."

Reza Hajatpour weiß, dass sie recht hat. Er müsste tatsächlich stolz sein. Er selbst war es, der die islamische Revolution anheizte, für die Ajatollah Chomeini Opfer forderte. Er selbst hatte einen Iran herbeigesehnt, in dem die Mullahs das Sagen haben. Jetzt ist er einer von ihnen. Doch als er an diesem Tag vor dem Spiegel steht und sich den weißen Turban um den Kopf bindet, fühlt er nur eines: Verachtung.

Fünf Jahre zuvor: Gegen den Willen seiner Eltern geht der 19-Jährige in die heilige Stadt Ghom, um Prediger zu werden. Die Schah-Dynastie ist für ihn gleichbedeutend mit Armut und Ungerechtigkeit. Vom Islam erhofft er sich eine bessere Welt, eine Welt des Intellekts. Er studiert euphorisch die heiligen Schriften, wird Mullah, fügt sich bereitwillig in eine arrangierte Ehe. Doch mit dem Wissen um den Koran wachsen auch die Zweifel an seiner Auslegung.

"Für den Islam ist der Glaube eine Herzensangelegenheit. Wie kann ein Großajatollah versuchen, den Menschen durch Gesetze zum Muslimsein zu zwingen?" Für Reza gibt es keine allgemein gültige Lebensweise, sondern nur jene Wahrheit, die jedem Menschen durch seine eigene Erfahrung offenbar wird. Nach einem Wortgefecht mit einem bedeutenden Scheich beginnen Rezas Glaubensbrüder, ihn misstrauisch zu beobachten. Seine Frau, eine Nachfahrin des Propheten und glühende Anhängerin Chomeinis, nennt ihn einen Verräter der Revolution.

Reza verliebt sich in eine andere. Eines Abends, als er bei seiner Geliebten auf dem Sofa sitzt, bekommt er einen Anruf. Ein guter Freund bittet ihn um die Adresse der Geliebten. Er wolle seine Schulden bei Reza begleichen. Als der die Haustür öffnet, sieht er zwei bewaffnete Revolutionswächter, ein Stück weiter, in einen Hauseingang geduckt, seinen Freund.

Ein "Sondergerichtshof für Geistliche" verurteilt Reza wegen mangelnder Glaubenstreue zu drei Monaten Haft. Unter den Zeugen der Anklage: der Scheich. Und die Brüder seiner Frau.

Als er aus dem Gefängnis entlassen wird, beginnen seine Ideale zu bröckeln. Einige Jahre verhält er sich ruhig, will sich die Zweifel nicht eingestehen. Bis ihn die Nachricht vom Tod seines Bruders erreicht. In seinem Testament bedankt er sich bei Reza, dass er ihm "den wahren Weg gezeigt" habe.

Reza beginnt, den Streit mit den Revolutionswächtern zu provozieren. Drei Schülerinnen in Rezas Koranunterricht tragen Lidschatten. Als er sich weigert, die Mädchen aus der Klasse zu werfen, bekommt er nächtliche Anrufe von der Hisbollah. Ein Freitagsvorbeter droht ihm, er habe schon ganz andere zu Fall gebracht, die den Held spielen wollten.

An dem Tag, der sein letzter als Mullah sein soll, ist die Moschee berstend voll. Reza lässt nichts aus. Die Verlogenheit der islamischen Revolution, die Bespitzelung durch die Sittenpolizei, den Krieg mit dem Irak, der die Ärmsten sinnlos dahinrafft. Getuschel im Publikum, fassungslose Gesichter, dazwischen vereinzeltes Nicken. Die letzten Worte kann Reza nicht mehr sprechen. Mitten im Satz winkt ihn ein bärtiger, alter Mann hektisch aus der Moschee.

Als die Glaubenswächter an die Tür seiner Mutter trommeln, sitzt er schon in einem Fluchtwagen nach Teheran, den Turban auf dem Sitz zusammengeknüllt.

Einige Tage verstecken ihn Freunde vom Basar, Händler, die Kontakt in den Westen haben, dann flieht Reza in die Türkei, landet schließlich in einem deutschen Asylbewerberheim.

Das alles ist zwanzig Jahre her. In Rezas Haar mischen sich erste graue Strähnen. Wenn er spricht, fliegen seine Hände durch die Luft, er lacht viel, hat sich versöhnt mit dem, der er war. Noch immer dreht sich ein Großteil seines Lebens um die religiösen Lehren. Heute lehrt er Islamwissenschaften an der Uni Bamberg und sagt: "Die Gesellschaft braucht keine Religion."

Herbert Steffen war im Priesterseminar angemeldet, bevor er zum Kirchenkritiker wurde.

Seinen Glauben hat Herbert Steffen teuer bezahlt. Noch teurer seinen Unglauben. 1 Million Mark erhielt die katholische Kirche einst aus den Händen des Unternehmers. Das Vermögen, das er seither in die Unterstützung dezidierter Religionskritiker gesteckt hat, dürfte diese Summe noch mal um einiges übersteigen.

In dem erzkatholischen 1.000-Seelen-Dorf im Hunsrück, in dem Steffen aufwächst, ist die Glaubensfrage keine, mit der man sich lange aufhält. Erst kommt der Herr Pfarrer, dann der Religionslehrer, abgeschlagen auf Platz drei darf sich der Bürgermeister zu Wort melden.

Mit zwölf schicken ihn die Eltern aufs bischöfliche Internat. Jeden Abend läuft er in den Park, kniet vor der Marienstatue und betet. Als er die Schule verlässt, hat er von so ketzerischem Gedankengut wie der Evolutionstheorie nie ein Wort gehört.

Ins Priesterseminar eingeschrieben ist er schon, da macht Steffen plötzlich einen Rückzieher. "Als Priester hätte ich mich zur 100-prozentigen Nachfolge Christi verpflichtet. Aber das Versprechen der Ehelosigkeit hätte ich nicht erfüllen können. Ich kannte zwar einen Haufen Priester, die heimlich eine Freundin hatten, aber diese Heuchelei war mit zutiefst zuwider."

Nach dem Wirtschaftsstudium übernimmt er die elterliche Möbelfabrik. Heirat, vier Kinder, Arbeit bis spät in die Nacht, doch noch immer spielt Religion eine Hauptrolle in seinem Leben. Gemeinsam mit den Mitarbeitern seiner Firma spendet er der Kirche eine Million - die eine Hälfte schießt er aus seinem Privatvermögen dazu, die andere zweigen die Angestellten von ihrer Gewinnbeteiligung ab. Steffen bezeichnet sich selbst im Nachhinein als "fundamentalistischen Christen". Bis ihm ein Buch von Rudolf Augstein in die Hände fällt: "Jesus Menschensohn". "Ein harmloses Büchlein, aber damals hat es erste Zweifel geweckt", sagt Steffen.

Auf einer Pilgerreise nach Israel wird ihm klar, dass sich zahllose Fakten aus dem Alten Testament unmöglich mit der Realität in Einklang bringen lassen. "Bis dahin habe ich alles, was in der Bibel stand, Wort für Wort geglaubt - wie es die Kirche eindeutig vorschreibt. Was diese ,Light-Christen' heutzutage machen, sich rauspicken, was sie glauben wollen, hat mit dem Katechismus nichts zu tun." Mit dem gleichen Eifer, mit dem er bis dahin das Wort Gottes studierte, gräbt er sich nun durch einen Stapel naturwissenschaftlicher Arbeiten. Im Urlaub auf Tahiti liest er schließlich eine Schrift des Kirchenkritikers Karlheinz Deschner - und ist regelrecht schockiert. "Dass die Fakten, auf denen mein Glaube fußt, Märchen aus dem Morgenland waren, wusste ich schon. Als ich aber von dem Unheil las, das die Kirche über die Menschen gebracht hat, war ich wirklich bestürzt. Vielleicht weil ich selbst so ein Extremist gewesen bin. In meiner Glaubenszeit wäre ich sofort in den heiligen Krieg gezogen."

Ein paar Wochen später steht Steffen vor Karlheinz Deschners Tür. Der hat jedoch just in diesem Moment ganz andere Sorgen als einen begeisterten Fan. Sein Sponsor ist gestorben, ihn plagt akute Geldnot. Spontan entschließt sich Steffen, Deschners Mäzen zu werden. Den passenden Förderverein gründet er gleich selbst. Er verkauft seine Firma - mit immerhin 2.000 Angestellten - und steckt den Großteil seines Vermögens in die Giordano-Bruno-Stiftung, die dem organisierten Christentum den Kampf ansagt: "Die Kirche ist ein Moloch", sagt Steffen halb kämpferisch, halb vergnügt. "Wer sich eine humane Gesellschaft wünscht, muss sich gegen den Vatikan zur Wehr setzen."

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