piwik no script img

■ Jelzin servierte Ruzkoi abVom Wegbereiter zum Trotzkopf

Wann immer der russische Vizepräsident Alexander Ruzkoi sich in letzter Zeit zu Korruptions-Beschuldigungen äußerte, da wurde sein Blick unsicher, und die Schnurrbarthaare zitterten. Schwerer als der Kern der Vorwürfe traf ihn offenbar das Gefühl, von der Präsidenten-Sippe nicht mehr geliebt zu werden. Und natürlich entstand dabei der Eindruck: Dieser Mann versteht von Politik keinen Deut. Und doch hat er einmal der Politik in Rußland eine entscheidende Wende gegeben, im April 1991, als er auf die Tribüne des Obersten Sowjet der Russischen Föderation trat und dem Noch-nicht-Präsidenten Boris Jelzin sein Vertrauen erklärte und seine Fraktion „Kommunisten für die Demokratie“ ausrief. Die KPdSU-Fraktion war damit gespalten, Jelzins Weg zur Präsidentschaft freigegeben. Als der Schon-Präsident später seinem Wegbereiter die Stelle des Zweiten an seiner Seite antrug, äußerte der Afghanistan-General und Ex-Kampfflieger berechtigte Zweifel an der eigenen Qualifikation. Aber Jelzins Kalkül war eindeutig: Wer konnte mehr schwankende aus dem konservativen Lager für ihn gewinnen als solch ein Held?

Die Rechnung schien aufzugehen, als Jelzin und Ruzkoi Seite an Seite die Nächte auf den Barrikaden am Weißen Haus durchstanden — erst recht, als der alte Kämpe selbst das Flugzeug steuerte, mit dem er den desertierenden Putschisten auf die Krim nachsetzte — endgültig, als ihn das Volk bei seiner Rückkehr fast auszog und buchstäblich auf Händen trug.

Der trotzige Sohn rebellierte gegen den Ziehvater, indem er pubertäre Werte wie die Größe der Nation, die Ehre der Armee und den Kampf gegen die Banditen auf seinen Schild hob. Der Vize-Präsident wurde nun wirklich gefährlich, und Boris Jelzin beraubte ihn nicht nur sämtlicher praktischer Funktionen, er verbot ihm auch, Pressekonferenzen im Kreml abzuhalten, nahm ihm zwei Dienstmercedesse und einen großen Teil der Leibwache. Nun droht Ruzkoi mit dem schlimmsten: Rußland völlig umzukrempeln. Eine Koalition mit ihm ist nicht mehr denkbar. Aber wenn er mit knapp abgezirkelten Schritten über den Bildschirm eilt, entschieden den Arm schwenkt, sich am Beifall erwärmt und mit seinem Lächeln nicht nur nach Vertrauen heischt, sondern es auch noch erntet, dann fragt man sich, ob es sich für Jelzin gelohnt hat, sich diesen Bundesgenossen zu vergraulen. Vielleicht hätte er ihm besser noch zwei Mercedesse dazuschenken sollen? Barbara Kerneck, Moskau

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen