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Archiv-Artikel

„Jedes Bild ist mir begegnet“

Das Hamburg der Fünfzigerjahre mit den Augen des Fotografen Herbert Dombrowski, der genau hingeschaut, aber nur selten entblößt hat: Eine Ausstellung über Milieustudien, spießige Enge und Wirtschaftswunder

Kaum einer blickt in die Kamera, und wenn, wirkt das eher zufällig

Von Karin Liebe

Schon von weitem sind die Fünfzigerjahre an der Silhouette der Frauen zu erkennen. Auch wenn die Passantinnen auf dem Foto „Willkommhöft“ nur als winzige Schattenrisse vor zeitlosem Wasser und zeitlosem Himmel in die Ferne schauen, sprechen Wespentaille und weit schwingender Rock in Wadenlänge Bände. Die Mode hielt damals, als der Hamburger Fotograf Herbert Dombrowski mit der Kamera durch seine Heimatstadt streifte, noch ein ganzes Jahrzehnt.

Ein Jahrzehnt, das heute für Spießbürgertum und Enge steht, für Nostalgie und heile Welt, aber auch für Aufbruch und Wirtschaftswunder. Dombrowskis Blick auf die Fünfziger ist einer, der jenseits solcher Kategorien schweift. Es ist der eines wachen Zeitgenossen, der genau hinschaut, aber nur selten entblößt. Ohne romantische Verklärung hat der Autodidakt das Hamburger Alltagsleben zwischen Kiez und Derby, zwischen Hafen und Börse festgehalten.

Rund 50 Schwarzweißaufnahmen des 1917 in Hamburg geborenen Fotografen zeigt jetzt die Galerie Hilaneh von Kories. Der Titel der Schau „Jedes Bild ist mir begegnet“ suggeriert Authentizität, und genau das strahlen diese Fotos auch aus. Inszeniert hat Dombrowski, der in den Fünfzigerjahren für den stern und den Spiegel arbeitete und danach mehr als 20 Jahre als Werbefotograf tätig war, die wenigsten Bilder. Viele wirken wie aus der Hüfte geschossen, sind verwischt oder verschwommen.

Insbesondere im halbseidenen Kiezmilieu war das offenbar ein notwendiges Mittel, um „nichts auf die Nuss“ zu bekommen, wie Dombrowski es selbst ausdrückt. Im Ballhaus Jahnke hat er damals zwielichtig aussehende Männer mit viel Pomade im Haar abgelichtet, die in einem Mafiafilm mitspielen könnten.

Wie jeden guten Fotografen zeichnet auch Dombrowski das Gespür für den richtigen Augenblick aus. So gelingen ihm immer wieder atmosphärisch dichte Milieustudien. Vor dem Cuneo plaudert eine Marilyn-Monroe-Kopie mit einem schwarzhaarigen Schnauzbart, ein Matrose mit weißem Käppi steht breitbeinig neben dem Paar, eine alte Frau beäugt am Bildrand misstrauisch die Szenerie. Auch das könnte fast ein Filmstil sein, aber dafür geht Dombrowski nicht dicht genug heran. Kaum einer der Porträtierten blickt in die Kamera, und wenn, wirkt das eher zufällig. Auch die Werftarbeiter, die dicht gedrängt in Barkassen an den Landungsbrücken nach Schichtende einlaufen oder in Strömen zur Werft aufbrechen, schauen ernst und gedankenverloren vor sich hin.

Es sind vor allem die „kleinen Leute“, die Dombrowski zwar distanziert, aber sehr würdevoll abbildet. Anders geht er mit der Highsociety und den Neureichen um. Die Damenriege mit den großen Hüten beim Derby sieht ziemlich arrogant aus, und auch die zwei Börsianer sind alles andere als Sympathieträger. Ein Bäuchlein wölbt sich über der strammen Weste, das Lächeln ist selbstzufrieden und feist. Eben dicke Bonzen, wie sie im Buche stehen. Und fast eine Karikatur der Wirtschaftswunderjahre.

Di–Fr 14–19 Uhr, Galerie Hilaneh von Kories, Stresemannstr. 384a im Hof; bis 31. 1. 2006