Jeder dritte Euro im Hartz-IV-System: 50 Milliarden Euro für Aufstocker
Mittlerweile wird jeder dritte Euro im Hartz-IV-System zum Aufstocken von Niedriglöhnen verwendet. Wirtschaftsexperten sehen darin kein neues Phänomen.
Die Zahl ist hoch: 50 Milliarden Euro an Steuergeldern sind seit dem Start von Hartz IV im Jahr 2005 bislang für die Aufstockung von Niedriglöhnen verwendet worden. Dies geht aus einer kleinen Anfrage der Linken an die Bundesregierung hervor. Jeder dritte Euro im Hartz-IV-System wird demnach zur Sicherung des Lebensunterhalts von Geringverdienern verwendet.
Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht die Zahlen jedoch falsch interpretiert: "Wenn man über Aufstocker spricht, muss man sehr genau schauen auf diejenigen, die zwar in Vollzeit arbeiten, bei denen das Gehalt aber trotzdem nicht zum Leben reicht." Diese Gruppe gebe es aber bereits seit 1965, damals hätten die Betroffenen eben Wohngeld bezogen.
Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) waren im Dezember 2009 666.209 Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt und bezogen zeitgleich Hartz IV. Gut 400.000 von ihnen arbeiteten in Vollzeit. Fast genauso viele Hartz-IV-Empfänger, nämlich 645.000, waren 2009 geringfügig beschäftigt. "Dass Menschen nicht von ihrer Arbeit leben können, ist ein gesellschaftliches Problem, aber es ist nicht neu", sagte Brenke.
Unter den vollzeitbeschäftigten Aufstockern sei häufig nicht der geringe Verdienst, sondern eine große Familie der Grund, warum das Gehalt nicht zum Leben reiche, sagte Brenke. Zudem sei die Zahl der Aufstocker in der Gruppe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den letzten Jahren zurückgegangen. Anders sehe es bei Hartz-IV-Empfängern aus, die in Minijobs arbeiteten.
Eben diese Minijobs hält Thorsten Kalina vom Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg (IAQ) für ein großes Problem. Minijobber würden behandelt wie Arbeitnehmer zweiter Klasse. Das ziehe die Löhne insgesamt nach unten, sagte Kalina.
Mindestlöhne, wie sie am Donnerstag auch Linksparteichef Klaus Ernst forderte, sieht Kalina als Chance für einen faireren Wettbewerb. "Einen branchenspezifischen Mindestlohn müssen alle Arbeitgeber zahlen und die höhere Kaufkraft der Arbeitnehmer wirkt sich wiederum positiv auf die anderen Branchen aus, erklärt Kalina. Er plädiert deshalb dafür, Geringverdiener langfristig in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse einzubinden.
Andere fürchten hingegen, dass ein Mindestlohn zu Stellenabbau führe. Kurt Eikemeier, Sprecher der BA, sagte zur taz: "Möglicherweise würde ein gesetzlicher Mindestlohn den Menschen im Niedriglohnsektor helfen, aus Hartz IV herauszukommen." Er sehe aber die Gefahr, dass die entsprechenden Arbeitsplätze durch die Einführung eines Mindestlohns nicht länger zur Verfügung stünden.
Kalina verweist aber auf Großbritannien, wo 1999 ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wurde. Studien hätten gezeigt, dass dort die Zahl der Beschäftigten seitdem um zwei Millionen gestiegen sei. In anderen Ländern sei zudem die Möglichkeit zur staatlichen Aufstockung von Löhnen fast immer mit der Einführung von Mindestlöhnen verbunden gewesen, betonte Kalina. "Andernfalls zahlt der Staat immer drauf, weil er für das aufkommt, was die Arbeitgeber einsparen." Ähnlich sieht das Ernst: "Würde niemand weniger als zehn Euro pro Stunde verdienen, könnte ein Gutteil der Subventionierung des Niedriglohnsektors eingespart werden."
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