■ Filmstarts à la carte: Je vous souhaite une bonne nuit
Jahrestage: In den kommenden Monaten trifft sich der 100. Geburtstag des Kinos mit dem 50. Jahrestag der Befreiung dieses Landes und seiner Konzentrationslager in Ost und West. Es liegt auf der Hand, daß speziell die Dokumentarfilme über diese Jahre eine Art „ausgelagertes Gedächtnis“ darstellen.
Die Stiftung Topographie des Terrors zeigt nun bis in den Mai hinein Filme zum Thema. Gezeigt werden durchaus die Kassenschlager des Genres wie Chaplins The Great Dictator oder Lubitschs To Be or Not to Be. Jean- Pierre Melvilles Le silence de la mer hingegen ist hierzulande höchst selten zu sehen, gehört aber zu dem filmisch Intelligentesten, was je zu dem Thema ersonnen wurde. Er wurde 1949 nach dem gleichnamigen Roman gedreht, der eine Art innere Guideline der Résistance wurde. Der Plot ist das Unwichtigste daran: Ein deutscher Offizier, Werner von Ebrenac, wird bei einem alten Franzosen und seiner Nichte einquartiert. Entsprechend seiner adligen Herkunft lebt er in der Vorstellung, Hitlers Anliegen sei es lediglich, Deutschland und Frankreich karolingisch wiederzuvereinigen, wird aber auf einer zünftigen Offiziersparty eines Besseren belehrt, und da platzt die „Grande Illusion“. Es ist schon auffällig, wie sowohl in dem Roman wie auch in vielen französischen Filmen der dreißiger und vierziger Jahre (auch denen von Renoir) die Frage der Würde, der aristokratischen Ehrbegriffe usw. eine Rolle spielte. Man mag das zweifelhaft finden. Was an „Le silence de la mer“ aber so beeindruckend ist, das ist seine absolute Sprengung der filmischen und auch narrativen Konvention; er ist, betrachtet man's genau, eine Art Vorwegnahme der starren Repetition des Nouveau Roman, der Emanzipation des Bildes vom Voice-Over, wodurch der Sinn, der eigentlich durch die Worte mühsam konstruiert werden soll, immer wieder wie Sand durch die Finger rinnt. „Letztes Jahr in Marienbad“, Filme von Duras und später auch Godard sind Erben dieser neuen Rhythmisierung.
Der Offizier klopft, tritt in das Wohnzimmer zu Onkel und Nichte und spricht zu ihnen, die ihm nie antworten. In ihr Schweigen hinein versucht er sein Leben zu rekonstruieren (das hat durchaus auch etwas Camus-haftes), aber an dieser Mauer prallt es ab; gleichzeitig sind sie, ob sie wollen oder nicht, mit ihm in Deutschland, fahren in Gedanken dem blonden Mädchen Margarethe durchs goldene Haar, zucken zusammen, als sie einer Mücke die Beine ausreißt.
Wie Schneisen in den Schnee schlägt Melville zwischen diese Szenen, die sehr filmisch und überhaupt nicht kammerspielhaft sind, Aufnahmen des Krieges. Ganz ruhig sagt die Stimme „Chartres“, und man sieht die alte Kathedrale im Fadenkreuz, ein deutscher Panzer richtet seinen Lauf auf sie...
Howard Vernon, der bei Straub/Huillet den Priester Hermokrates gab, war Werner von Ebrenac, ein im vorsichtigsten Sinne existentialistischer Held. Er hat Melville in der Metro kennengelernt. „Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Jean-Pierre Melville.“ Dieser Niemand also wollte nun ein derartig heißes Eisen verfilmen, ohne Drehgenehmigung, ohne Placet des Autors und natürlich ohne eine Puseratze für das Filmmaterial sein Eigen zu nennen, was entsprechend klandestin auf dem Schwarzmarkt beschafft werden mußte, je nachdem wie das Geld reinkam, von der Hand in die Kamera sozusagen.
Howard Vernon wird zur Vorführung des Films in Berlin sein; er spricht drei Sprachen und ist, wie man so hört, ein höchst versatiler und charmanter Grand Seigneur, mit dem es sich über die interessanteste Zeit dieses Jahrhunderts sicherlich zu parlieren lohnt (man spricht Deutsch). Mariam Niroumand
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