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Je räudiger, desto besser

Jack Kerouacs wildes Popstar-Image beruhte auf einem Mißverständnis – lieber wäre er, der Vater aller Roadmovies, nämlich eine Art Proust gewesen. Einige Beobachtungen zur ewigen Wiederkehr der Beat generation  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Die Beat generation ist wieder „in“, sagt man so, was vor allem wohl an diversen möglichen Jubiläumsdaten liegt: Vor ein paar Tagen wäre Jack Kerouac 75 geworden, im Herbst jährt sich zum vierzigsten Mal die Veröffentlichung von „On the Road“, und vor fünfzig Jahren – im Juli 1947 – begann die erste Tramptour des Romans. Letzteren Termin will Francis Coppola angeblich zum Anlaß nehmen, seine Verfilmung von „On the Road“ auf den Markt zu werfen.

In jedem Fall begegnet man den diversen Beatjubiläen mit verstärktem Output: Einige CDs zu Ehren von Jack Kerouac sind gerade erschienen, zur Leipziger Buchmesse gibt es mindestens drei Bücher, die sich mit der Beat generation beschäftigen: Neben dem faktenreichen Gruppenporträt „Birth of the Beat Generation“ des amerikanischen Kulturhistorikers Steven Watson veröffentlicht der Hannibal-Verlag die Aufzeichnungen von Neal Cassady, der das Vorbild abgab für den manisch daherplappernden, sexsüchtigen Helden von „On the Road“. Außerdem erschienen im Kunstmann-Verlag die Erinnerungen von Joyce Johnson über die zwei Jahre, die sie mit Kerouac liiert war, „Warten auf Kerouac“.

Mögen andere, etwa Pynchon, auch literarisch interessanter sein, kein amerikanischer Roman hatte so viel Einfluß wie Kerouacs „On the Road“: Bob Dylan begann seine Karriere Anfang der 60er Jahre als romantisch-nachdenklicher Beatniktramp, Ende der Sechziger machten die Hippies den frankokanadischen Autor zur Ikone. Sein Buch war eine der Bibeln der Subkulturfraktion der APO, lieferte das atmosphärische Vorbild für alle Roadmovies; Regisseure wie Jim Jarmusch, David Lynch, Wim Wenders und alle möglichen Popmusiker ließen sich von Kerouac inspirieren. „On the Road“ begleitete jugendliche Aussteiger und Alternative in den Siebzigern und frühen Achtzigern auf Tramptouren oder bei Haus- und Platzbesetzungen. Tom Waits sorgte Mitte der Achtziger für eine Reaktualisierung.

Wem der romantische Optimismus des Buches nicht paßte, schrieb Gegenbilder: In den frühen Siebzigern machte Hunter S. Thompson aus „On the Road“ sozusagen eine trashig-drogenlastige Groteske („Angst und Schrecken in Las Vegas“); Brett Easton Ellis lieferte 1991 mit dem kalkuliert- brutalen Serial-Killer-Yuppie-Roman „American Psycho“ die zynische Anti-Utopie.

Vor zwei Jahren jagte man den armen alten Herbert Huncke noch mal auf Lesungen durch die Welt. Seltsame Geschichte: Der schwule New Yorker Dichter, der lebenslang rauschgiftsüchtig war, der Burroughs 1946 den ersten Schuß setzte und im gleichen Jahr den Begriff „Beat“ erfand, sollte die schale Gegenwart mit authentischer Romantik befeuern.

Allen Ginsberg ist bis heute als makrobiotisch gesonnener „Uncle Sam des Undergrounds“ aktiv. Burroughs, dessen Gesicht sich schon auf dem Sergeant-Pepper's- Album der Beatles fand, taucht immer mal wieder auf. Zuletzt konnte man ihn anläßlich von Robert Wilsons „Black Rider“ sogar in den Tagesthemen gegen Haschisch wettern hören. So ganz aus der Mode war die Beat generation jedenfalls nie, wenn auch ihre nachträgliche Romantisierung und Inanspruchnahme für die Gegenwart oft ziemlich künstlich wirkte.

Dieses Gefühl von Künstlichkeit, das einen befällt beim Beobachten der diversen Reaktualisierungsversuche, liegt vermutlich im Wesen der Sache. Die Beat generation, als deren Manifest „On the Road“ gefeiert wurde, gab es jedenfalls in der Zeit, von der der Roman erzählt, noch gar nicht. Weder als Begriff (der wurde erst 1954 geprägt) noch als Bewegung relevanter Größenordnung. Ende der 40er Jahr waren es kaum ein Dutzend, selbst Mitte der 50er Jahre seien es in ganz Amerika kaum mehr als 200 gewesen, „die in Levi's und Arbeiterhemden herumrannten, Kunst machten, Dope rauchten, auf den neuen Jazz standen und einen verwässerten schwarzen Argot sprachen“, berichtet Diane DiPrima, eine der wenigen Beatfrauen, die später als Autorinnen hervortraten.

Die Beat generation entstand eigentlich erst nach dem durchschlagenden Erfolg des Romans. „Nach dem was die Medien (...) vorexerzierten, trug der männliche Beatnik, (,the cat‘) ein Kinnbärtchen, je räudiger, desto besser, und langes Haar, das lose über den Kragen hing. Er trug zuweilen einen Anhänger, mehr oder weniger in der Form eines Kruzifixes, ein schwarzes Barett, schwarze Jeans mit schwarzem Rollkragenpulli oder, im Sommer, ein weißes T-Shirt. Er rauchte am liebsten Marihuana, spielte Bongos und deklamierte zu cooler Jazzbegleitung Lyrik. Sein weibliches Pendant (,the chick‘) war mager, trug das Haar lang und glatt, blasses Make-up und träumte davon, wie Morticia aus der Addams-Family auszusehen. Sie trug schwarze Trikots und Sandalen. Sie trank am liebsten Espresso, ging zu Dichterlesungen und hatte es mit schwarzen Jazzmusikern. Die angestammten Wohnräume des Beatnik waren ein düsteres Kaffeehaus in North Beach und eine kärgliche Mansarde (,the pad‘) mit nackten Glühbirnen, einer Heizplatte für die Espressokanne und mexikanischen Kuhglocken.“ (Steven Watson in „Birth of the Beat Generation“) Wer nicht den Mut hatte, dem Medienbild hinterherzueifern, konnte Anfang der 60er in Greenwich Village auch zur „Rent-a-beatnik-Agentur“ gehen.

Kerouac, der eigentlich Proust sein wollte, wurde ein wildes Popstar-Image verpaßt, das auf einem Mißverständnis beruhte: Anstatt in ihm den eher schüchtern rebellierenden Ich-Erzähler von „On the Road“ zu sehen, der seine emphatisch durchgedrehten Freunde staunend beobachtet und ihrer „negativen und beklemmenden Haltung, die Gesellschaftsordnung herunterzumachen“ eher hilflos gegenüberstand, verwechselte man ihn mit dem wilden, sex- und glückssüchtigen Neal Cassady. Diesem Bild konnte er nie gerecht werden. Der Erfolg wurde „zum Signal für seinen eigentlichen Untergang“, heißt es in seinem letzten autobiographischen Roman „Die Verblendung des Duluoz“ (1967). Seine öffentlichen Auftritte, bei denen er aus Angst völlig betrunken zu sein pflegte, waren eine Katastrophe.

Die letzten unproduktiven Jahre lebte er bei seiner Mutter, die ihn vor alten Freunden abschirmte. Ginsberg drohte sie etwa damit, ihn als Homosexuellen beim FBI zu denunzieren, wenn er ihren Sohn nicht in Ruhe lassen würde. Kerouacs letzter veröffentlichter Text war eine Haßtirade gegen Hippies und die Antikriegsbewegung. Bei seinem letzten Talk- show-Auftritt 1968 brillierte er mit antisemitischen und homophoben Äußerungen. Ginsberg, der im Publikum saß, umarmte ihn danach. Gegen Ende seines Lebens fühlte er sich von kommunistischen Verschwörungen umgeben und starb 1969 als frustrierter Alkoholiker vor dem Fernseher.

Die Künstler- und Bohemebiographien, von denen „The Birth of the Beat Generation“ erzählt, beeindrucken durchaus. Nicht weniger radikal als in den einschlägigen Romanen beschrieben, suchten die mehr oder weniger prominenten Beatoriginale nach spiritueller Wahrheit und künstlerischem Ausdruck in den Anfängen einer Konsumgesellschaft, die den Zusammenhalt der Bohemiens durch Verfemung verstärkte: „Bebop- Musik war als Musik der Schwarzen verpönt, allem Sexuellen begegnete man hysterisch (Joyce Johnson schreibt, daß sich ihr Vater übergeben hätte, als er von ihrer außerehelichen Entjungferung erfuhr); die homosexuellen Oberbeats (Burroughs, Ginsberg, Solomon, Huncke usw.), die den Männerbund prägten, galten als pervers, und Drogenbesitz wurde drakonisch bestraft. 1958 etwa wurde Neal Cassady wegen drei Marihuanazigaretten zu fünf Jahren verurteilt. Während seiner Haftzeit begeisterte er sich für Religionskurse, die Gavin Arthur gab. Als Cassady später mit Arthur schlief, schloß sich ein über alle Generationen reichender homosexueller Kreis: Cassady schlief mit Arthur, der mit Edward Carpenter geschlafen hatte und der wiederum mit Walt Whitman.“

Sehr seltsam das alles. In seinem Buch „Wie alles anfing“, schrieb der ehemalige Haschrebell und Terrorist Bommi Baumann: „Man sollte mal von Anfang an von Hemingsways ,Lost Generation‘ über die Beatniks bis heute die Sache als zusammenhängend ansehen.“ Inzwischen meint er, daß das alles wohl auch damit zu tun habe, daß im Westen die Tradition der Bettelmönche ausgestorben sei.

Steven Watson: „The Birth of the Beat Generation“. 380 S., über 100 Sw-Abb. Hannibal Vlg., 49,80 DM

Joyce Johnson: „Warten auf Kerouac“. Kunstmann Verlag, 280 S., 29,80 DM

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