Jazzsaxofonist Shabaka Hutchings: Ein feministisches Dub-Jazz-Manifest
Shabaka Hutchings und Sons of Kemet touren mit dem tollen Album „Your Queen Is a Reptile“: ein feministisches Manifest mit Dub-Jazz-Grime-Einschlag.
Schwierig, über eine Verschwörung zu diskutieren, wenn die Handyverbindung mies ist. Es knattert und klickt in der Leitung, in London ist Shabaka Hutchings kaum zu verstehen. Trotzdem wird bald deutlich, dass der britische Saxofonist kein Anhänger der absurden These von bluttrinkenden Reptilien-Menschen ist, die das Haus Windsor unterwandert haben sollen.
Hutchings hat die Frage schon erwartet. Schließlich trägt das neue Album seiner Band Sons of Kemet den Titel „Your Queen Is a Reptile“. Seine Antwort fällt diplomatisch aus. „Ich möchte meine HörerInnen dazu bringen, umzudenken“, sagt der 34-Jährige in sanftem Tonfall. „Es geht um Mythen unserer Gesellschaft, die wir als gegeben hinnehmen. Ein Mythos ist der der Überlegenheit durch Abstammung. Aber durch wen genau wollen wir uns repräsentiert sehen?“
Queen Elizabeth II. mit ihrem per Thronfolge ererbten Status ist kein Vorbild für Shabaka Hutchings. Dabei hat er genauso wenig gegen Elizabeth Windsor persönlich wie die Sex Pistols, als sie 1977 „God save the queen / She ain’t no human being“ sangen. Es geht Hutchings um die Ungleichheit der Gesellschaft, einen Zustand, den er gerne ändern würde. Angesichts von Sehnsucht nach einem neuen British Empire ein wichtiger Gedanke.
Shabaka Hutchings ist der Mann der Stunde im britischen Jazz. 1984 in London geboren, verbrachte er seine Kindheit zunächst auf Barbados, wo er Klarinette lernte und in Calypso-Bands musikalische Erfahrungen sammelte. Mit 16 zog er zurück nach England und machte sich als Gast in den Bands von Jazz-Grenzgängern wie Mulatu Astatke einen Namen. Später rief der Saxofonist das Fusion-Projekt The Comet Is Coming ins Leben; in Südafrika startete er die experimentelle Big Band Shabaka & The Ancestors.
Nichts Persönliches!
Sons of Kemet ist nun die erste Formation, der er als Bandleader voransteht: Gegründet 2011, spielen neben Hutchings zwei Schlagzeuger und ein Tubist. Und was für ein Quartett das ist! Sons of Kemet rühren ein scharfes Gebräu aus Jazz, Dub, knochentrockenem Funk und karibischem Folksound an. Zu den tranceartigen Grooves der beiden Drummer wummert der tiefe Bass der Tuba, dazu kommt Hutchings’ orkanartiges Saxofon – mehr Rhythmus- als Melodieinstrument.
So kreiert er Musik wie maßgeschneidert für den Dancefloor – das erinnert an Second-Line-Rhythmen aus New Orleans genauso wie an ein abgefahrenes Mixtape eines Grime-DJs aus South-London. Jeder der neun Titel auf „Your Queen Is a Reptile“ beginnt programmatisch mit dem Halbsatz „My Queen is …“, gefolgt von Namen von Aktivistinnen der afrikanischen Diaspora.
Harriet Tubman wird geadelt
Harriet Tubman, Begründerin der US-Fluchthilfe-Organisation Underground Railroad, die von 1849 an entlaufenen Sklaven half, aus dem Süden in den Norden der USA zu fliehen. Oder Doreen Lawrence, britisch-jamaikanische Mutter eines aus rassistischen Motiven ermordeten Teenagers, die sich für Reformen einsetzte und 2003 einen Verdienstorden verliehen bekam.„Ich habe mich gefragt: wer sind die für mich persönlich bedeutendsten Frauen?“, erzählt Hutchings. „Die neun Frauen, die ich nach intensiver Recherche für die Songtitel ausgewählt habe, verbindet Selbstlosigkeit und Stärke angesichts von systematischer Repression, der sie ausgesetzt waren.“
In den Linernotes des Spoken-Word-Poeten Joshua Idehen, dessen Stimme auf zwei Songs zu hören ist, heißt es: „Eure Königin ist nicht unsere Königin. Sie sieht uns nicht als Menschen an. Unsere Königinnen haben allein durch Taten eine Führungsrolle eingenommen. Unsere Königinnen haben grausame und ungerechte Zeiten in eine glänzende Zukunft verwandelt.“
Bei solch einem geballten feministischen Bewusstsein drängt sich die Frage auf: Warum agieren bei Sons of Kemet eigentlich keine Frauen in der Band? „Als wir einen Drummer neu besetzen mussten, habe ich zwar gesucht, aber keine Schlagzeugerin gefunden, die gepasst hätte. Es ist ja nicht so, dass ich Musikerinnen in der Band aufnehmen könnte und dann wären alle Probleme gelöst. Stattdessen haben wir uns überlegt, wie wir die Errungenschaften von Frauen substanziell einbringen können. Wir tun das auf unsere Weise, indem wir ihre Sichtbarkeit erhöhen.“