piwik no script img

Jazz aus dem Rechner – live

Rekonstruktion, Baby! Ex-Indie-Rocker Thomas Weber und sein „Kammerflimmer Kollektief“ setzen auf Synergien  ■ Von Felix Klopotek

Das Kammerflimmer Kollektief zählt sicher zu den sympathischs-ten und cleversten Projekten, die sich in letzter Zeit im berühmt-berüchtigten Grenzbereich von Pop und Jazz etabliert haben. Eigentlich ist das Kammerflimmer Kollektief ein Ein-Mann-Betrieb. Der Karlsruher Thomas Weber fing vor ein paar Jahren an, am Rechner Jazz zu konstruieren. Dieser Schritt markiert ziemlich deutlich den Bruch mit seiner Indie-Vergangenheit, Weber war nämlich Gitarrist bei der L'age-D'or-Band Kissin Cousins.

Eine solche Wandlung vom Indie-Rocker zum Laptop-Ritter ist übrigens nichts Besonderes. Jörg Burger (The Modernist), Markus Popp (Oval), Andi Thoma (Mouse On Mars) oder Moritz von Oswald (Chain Reaction) – sie alle haben eine solide Vergangenheit als Gitarristen, Bassisten oder Schlagzeuger in NDW-, Funk- oder Whimpbands hinter sich. Gerne darauf ansprechen lässt sich keiner, aber, wie Jan Werner, ehemaliger Percussionist und heute die andere Hälfte von Mouse On Mars, einmal augenzwinkernd bemerkte: „Wir alle haben uns schuldig gemacht.“ Und wer weiß: Vielleicht ist die jeweilige aktuelle, sich oft als ach so rein und geschichtslos gebende elektronische Musik gar nicht mal unbeeinflusst von den guten, alten Zeiten. Mindestens Mouse On Mars darf man ja professionelles Muckertum unterstellen.

Was das alles mit dem Kammerflimmer Kollektief zu tun hat? Na, das geht so: Thomas Weber sitzt vor seinem Bildschirm, hat vorher seine Plattensammlung durchforstet, ist dabei auf überraschend viel Free Jazz gestoßen und speist das beste von Pharoah Sanders, John Zorn, Ed Blackwell oder Rashied Ali in den Sampler. Allein der Ansatz, Free Jazz zu sampeln, ist schon einigermaßen wahnsinnig, wird doch hier eine sich als au-thentisch und von Geschichte und Tradition gesättigte Musik unsanft in die Postmoderne gerissen. Weber geht aber in seinen Bearbeitungen noch einen Schritt weiter und fügt die gesampelten Schnipsel zu richtigen Stücken zusammen – und zwar so elastisch und doch in sich geschlossen, dass man erst mal meint, es sei live gespielt worden. Ed Blackwell jedenfalls dürften nur die Connaisseure wiedererkennen, und auf deren Angebereien kann man getrost verzichten.

Aus dem Samplewahnsinn erwächst also wieder eine Musik, die das Kuddelmuddel hinter sich lässt und stattdessen behaupten kann, Free Jazz im Songformat auf der Basis von Elektronik respektive elektronischer Datenverarbeitung umzusetzen und zu revitalisieren. Hört sich kompliziert an, ist aber unglaublich kickend. Weber lässt die Loops nicht bloß rollen, er knetet sie, reißt sie auseinander, steckt sie neu zusammen und entdeckt Free Jazz als groovendes Konstruktionsprinzip – oder seien wir ehrlich: Weltenformel – wieder. Auf solche Ideen kann eigentlich nur ein ehemaliger Indie-Whimp kommen, der seine musikalische Karriere in einer Szene begonnen hat, die am Ende nichts mehr repräsentierte und mit Produktionsmitteln (Sequencerprogramme, virtuelle Keyboards, Sampler etc.) konfrontiert wurde, die nicht viel mehr als eine Stratocaster kosten.

Thomas Weber ist hingegen abermals einen Schritt weiter. Wenn das Kammerflimmer Kollektief auf Tour geht, dann ist er wieder Gitarrist, und dann steht auch eine richtige Band auf der Bühne, die mit dem Bassisten Johannes Frisch, dem Saxofonisten Dietrich Foth, dem Schlagzeuger Michael Ströder, der Keyboarderin Anne Vortisch und der Geigerin Heike Wendelin nahezu die gesamte kreative Szene Karlsruhes abdeckt. Live interpretieren sie die Computerstücke, die ja ihrerseits Neu-Interpretationen typischer Free-Jazz-Topoi waren. Rekonstruktion, Baby! Sie zelebrieren großartige polyphone Kollektivimprovisation und spielen, wenn sie gut gelaunt sind, eine superamtliche Robert-Wyatt-Coverversion. Mögen die anderen Produzenten und Indie-Renegaten auf ihrer Diskurslosigkeit beharren, die Synergien (hier mag man das Wort wieder benutzen!), die Weber und seine Genossen nicht zuletzt aus der Asche des Indie-Rocks erzeugen, gehören zu dem besten, was man dieser Tage aus Deutschland zu hören bekommt.

heute, 21 Uhr, Knust

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen