Jay-Z bringt neues Album raus: Emanzipation eines Dealers
Die Welt des Kokainhandels und des Raps funktionieren ähnlich in der Logik von Jay-Z. Auf seinem Album "American Gangsters" rappt er über das Leben als Dealer und als Firmenboss.
Hollywood, Hiphop und die Welt des Verbrechens bilden einen außerordentlich fruchtbaren Referenzring. Von den sogenannten "Godfather"-Hüten, die die Rapper von RunDMC aus Francis Ford Coppolas "Der Pate" übernahmen, über die unzähligen "Scarface"-Zitate auf Hiphop-Platten (einer der Rapper der Geto Boyz nannte sich sogar so) bis zu der Fernsehserie "The Wire", die in vielen aktuellen Gangstarap-Stücken zitiert wird: Seit Mitte der Achtzigerjahre ist der Gangsterfilm wichtiger Teil der Ikonografie des Hiphop. Wie wichtig Hiphop für die Welt des Verbrechens ist, ist naturgemäß schwerer nachzuweisen, aber wer einmal die Dealer an New Yorker Straßenecken gesehen hat, vermutet: sehr wichtig. Und wie bedeutend die Welt des Verbrechens für Hollywood ist, kann man jede Saison wieder dem neuesten Blockbuster-Vorspann entnehmen: "This is a true story."
So ist es auch bei "American Gangster", dem neuesten Ridley-Scott-Film. Mit dem kleinen Unterschied, dass eine gleichnamige Platte, die nichts mit dem Soundtrack des Films zu tun hat, direkt einen Tag nach dessen Start herauskommt - mit Jay-Z hat der wohl wichtigste Rapper der letzten zehn Jahre sein neues Album nach dem Film benannt. Weil er sich von der Geschichte, die der Film erzählt, so sehr an seine eigene Geschichte erinnert fühlt und gesehen habe, was auch aus ihm hätte werden können, sagt er in Interviews. Dass das genauso ist, kann man zwar getrost anzweifeln, dass es aber so sein könnte, macht das Ganze interessant.
Tatsächlich besteht ja das Karrieregeheimnis von Jay-Z darin, dass er geschickt wie kein Zweiter seine Laufbahn als Emanzipationsdrama des ehemaligen Dealers inszenierte, der seine kriminelle Energie vom Drogenhandel in den Plattenhandel umleitete, seine eigene Firma gründete, und, als er von einem Label über den Tisch gezogen wird, diese Firma zu einer der größten im milliardenschweren Hiphop-Geschäft ausbaute. Heute ist er einer der reichsten Männer des amerikanischen Showgeschäfts - mit 38 Jahren. Davon, darüber und aus dieser Position heraus rappte er. Wenn es ganz gut lief, schloss er postmarxistische Dekonstruktionsphilosphie mit "Wie werde ich Millionär" kurz. Und als er schließlich ganz oben war, hatte er nichts mehr zu sagen. Es war vollbracht.
Sein letztes Album, das von den Freuden des Multi-Millionär-Seins handelte, taugt nichts. Interessanterweise taugt "American Gangster" eine ganze Menge. Jay-Z funktionierte ja immer so: Die Welt des Kokain-Handels und die des Rap folgen den gleichen Regeln. Ich habe sie in Ersterer gelernt und wende sie in Letzterer an. Nicht weil ich ein moralisches Problem mit Ersterer habe, sondern weil ich ein so guter Rapper bin, dass ich da noch mehr Geld machen kann. Und nur Dummköpfe gehen in den Knast. Ihre Glaubwürdigkeit bezog diese Erzählung immer aus dem ganz realen Geld, das er machte, und je mehr Geld das war, desto realer wurde sie.
Und das ist das Schöne an "American Gangster". Als hätte die glühende Schnittstelle zwischen der Welt des Verbrechens und der des Films Jay-Zs lyrische Imagination neu entfacht, rappt er wieder einigermaßen befreit über das große Ellbogendrama des zeitgenössischen Lebens als Dealer/Rapper/Firmenimperienlenker. Wobei das Tolle natürlich nicht ist, dass der Chef einer Investmentbank Ähnliches zu sagen hätte wie Jay-Z. Sondern dass dieser es niemals so gut sagen könnte. "Blame Oliver North When I Ran Contra / I Ran Contraband To Thy Sponsors" heißt es etwa in zwei Zeilen der Single "Blue Magic", eines Stückes über die frühen Tage seiner Karriere. So präzise sind selten die CIA-Verstrickungen in den Drogenhandel sowie die Verquickung von Militär, Verbrechen und Entertainment zu einer Hitsingle verknüpft worden. Und die letzten vier Silben der einen Zeile sind die ersten vier der nächsten.
Jay-Z: "American Gangster" (Roc-A-Fella/Universal)
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