piwik no script img

Jasmin Ramadan Einfach gesagtDeutsche Ware

Foto: Roberta Sant'anna

„Pardon, könnte ich bitte den Warentrenner kaufen?“, fragt der komische Kauz im Regencape bei Edeka an der Kasse. Die Leute in der Schlange werfen sich Blicke zu, einige grinsen, die Kassiererin zieht eine Augenbraue hoch: „Den können sie nicht kaufen. Was wollen sie denn damit?“

„Das geht sie nichts an, ich muss Ihnen ja auch nicht sagen, was ich mit der Avocado will!“ Er hält eine Avocado in die Höhe und wirft den Umstehenden vielsagende Blicke zu.

„Na, die werden sie wohl essen“, sagt die Frau hinter ihm.

„Woher wollen sie das wissen?“

„Ist das so 'ne Scheiß-Kunstaktion?“, ruft jemand.

„Nie und nimmer“, sagt der Kauz, „ich möchte einfach bloß was kaufen und das ist doch hier eine Kaufhalle.“

„Das ist hier ein schnöder Supermarkt und ich will meinen Job machen, also legen sie den Warentrenner bitte zurück aufs Band.“

„Ich will ihn aber kaufen!“, sagt er nun etwas ungehalten.

„Man kann nicht alles kaufen im Leben!“, sagt ein Mann an der Kasse gegenüber und der Kassierer dort fügt hinzu: „Bestellen sie das Ding doch bei Amazon.“

„Ich kaufe nicht im Internet, ich will nicht zum transparenten Bürger werden!“

„Aber wir kriegen hier doch auch alle mit, was Sie abziehen!“

„Wollen sie damit jemanden erschlagen?“

Der Kauz zieht sich die Kapuze vom Kopf:

„Gut, gut, bevor jetzt alle grundlos auf mir rumhacken, so wie mein ganzes Leben schon: Ich will meinem Neffen den Warentrenner zu Weihnachten schenken!“

„Warum das denn?“, rufen alle im Chor.

„Weil er ein besonderes Kind ist und mich neulich gefragt hat, was typisch deutsch ist!“

„Schenken sie ihm doch eine Carrera-Bahn.“

„Also eigentlich verschenke ich gar nichts zu Weihnachten. Es ist eine widerwärtige kapitalistische Nötigung. Aber dieses eine Mal mache ich eine Ausnahme. Wegen des Mehrwerts. Verkaufen sie mir jetzt bitte den Warentrenner! Ich bleibe hier sonst stehen bis Weihnachten – es ist schon die dritte Filiale, bei der ich es versuche.“

Die Kassiererin drückt die Taste des Mikrofons und sagt: „Frau Berg bitte Kasse 2, ich hab’hier ein Problem!“

Die Filialleiterin eilt herbei, hört sich den Sachverhalt an, fängt an zu lachen und fragt: „Typisch Deutsch? Na dann müssen Sie aber auch mit Ihrem Neffen kommen und das Ding umtauschen. Niemand tauscht so viel um wie die Deutschen!“

„Sie sind auch Weltmeister im Zurückschicken von Bestelltem, vor allem meine Frau!“, sagt der Kassierer.

Die Filialleiterin sagt:„Meinetwegen können Sie das Teil geschenkt haben.“

„Nein, ich will etwas dafür bezahlen, es ist doch ein Geschenk!“

Die Filialleiterin fragt: „Was wollen Sie denn dafür ausgeben?“

„Geld spielt keine Rolle.“

Die Kassiererin sagt: „Ich geb’einfach zwei Avocados ein, dann kriegt die Bettlerin am Eingang eine und wir haben das Problem vom Band.“

„Sie sind ein guter Mensch!“, sagt der Mann und strahlt.

„Wenn das so einfach wär’“, sagt sie, „aber was ist denn jetzt eigentlich typisch deutsch an dem Warentrenner?“

„Ja, was eigentlich?“, fragen alle im Chor.

Jasmin Ramadans Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen