Jasmin RamadanEinfach gesagt: Nazis gehen immer
Es ist einfach zu viel los. Ich weiß nicht, worüber ich schreiben soll“, sage ich beim Stammtisch mit guten Freundinnen.
„Schreib über mich, ich habe bei mir selber Sexismus diagnostiziert, ich mag die Frauen-WM nicht gucken, ich schaffe es verdammt nochmal nicht, die ernst zu nehmen, sie reißt mich nicht mit, sie interessiert mich nicht.“
„Vielleicht ist das Thema nicht Sexismus, sondern Gewohnheit.“
„Doch, es ist Sexismus, es stört mich, dass es Frauen sind, dass sie Brüste und Zöpfe haben und mir fehlt die Power im Spiel, ich krieg das nicht aus mir raus, ich bin so ein degeneriertes Arschloch.“
„Schreib was über die größten Arschlöcher: Nazis!“
„Ach, da weiß man ja gar nicht, wo man anfangen soll.“
„Dann schreib über die Leute, die sich über die Pegida-Leute in dem Kontraste-Bericht wundern.“
„Worüber wundern die sich?“
„Dass die Pegidas den Mord an Lübcke gutheißen.“
„Warum wundert sich wer? Das sind eben selber Nazis, die finden, wer nicht tickt wie sie, muss sterben.“
„Es wundern sich auch noch immer Leute darüber, dass Nazis bei Facebook mit ihren Kindern lieb aussehen oder Welpen kuscheln, aber abgründig Böses in Kommentaren schreiben.“
„Das ist die Sehnsucht nach einer einfachen Welt, in der sich alles erkennen und in Schubladen stecken lässt.“
„Nazis haben ja so eine klare Weltordnung, ihre Kinder sind was wert, andere Kinder können ertrinken.“
„Apropos, über Carola Rackete könntest du was schreiben.“
„Dann aber über den ganzen positiven Sexismus.“
„Ja, sie wird als Heldin gefeiert, kommt auf den Spiegel-Titel – auch weil sie eine junge hübsche Frau ist, deshalb zählt das alles noch mal mehr. Fehlt nur noch, dass jemand sie Powerfrau nennt.“
„Genau, das ist wie mit Greta Thunberg. Nichts wird traditionell weniger mit Heldentum assoziiert als kleine Mädchen.“
„Ja, und was neu ist, geht durch die Decke.“
„Also müssen Frauen jetzt noch mehr ran, wenn die Welt die Kurve kriegen soll.“
„Aber warum zieht die Nummer nicht im Fußball?“
„Weil die Männer da ausnahmsweise durchweg glänzen, aber da geht es ja auch bloß um Körperkraft, ein Bällchen und ein klares, gut sichtbares Ziel.“
„Schreib über von der Leyen, vielleicht wird sie EU-Kommissionschefin.“
„Ein Kollege von mir meinte, das werde vom Macron nur lanciert, weil der auf die steht, sie sei ja genau sein Typ: Blondgefärbt und viel zu alt.“
„Was für ein Pisskopf ist denn dein Kollege?“
„Ja, klingt, als hätte Macron eine Krankheit, weil er sehr erwachsene Frauen attraktiv findet.“
„Viele Themen, aber keines sticht so richtig raus.“
„Vielleicht liegt es am Sommer – da wirkt neben dem Wunsch nach Urlaub immer alles irgendwie fade.“
„Schreib doch einfach über das Wetter in Hamburg.“
„Genau, schreib darüber, dass der Klimawandel doch nicht stattfindet, weil der Hamburger Sommer seit Tagen so frustrierend ist, wie er schon immer war.“
„Ja, genau, schreib was Beruhigendes, ich glaub, da würden sich alle freuen.“
Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.
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