Japanischer Aktivist über Aufklärung: "Panik ist verflogen, die Angst bleibt"

Der Musiker und Aktivist Otomo Yoshihide im Gespräch über unzuverlässige Informationspolitik nach Fukushima und sein eigenes Aufklärungsprojekt.

Die Atombombe war ein nationales Trauma. Und wahrscheinlich steckt es noch immer in unseren Köpfen. Bild: promo

sonntaz: Herr Yoshihide, in den Tagen nach der Katastrophe vom 11. März 2011 waren oft Bilder von Pressekonferenzen der AKW-Betreibergesellschaft zu sehen: Ein behelmter Ingenieur im Blaumann trat vor die Kamera und erklärte auf einer Tafel Vorgänge. Was kommt Ihnen dabei in den Sinn?

Otomo Yoshihide: Ich war sehr enttäuscht, weil mir in diesen Augenblicken jeweils bewusst wurde, dass mein Leben und das vieler anderer in seinen Händen liegt. Der Anblick dieses Manns hatte auch etwas von Slapstick. Es ist gefährlich, wenn die Macht in Händen von Spezialisten liegt, die alles noch so Bizarre verständlich machen wollen.

Können Sie sich erinnern, wie in Japan über Atomenergie gesprochen wurde, als Sie jung waren?

Als Kind wusste ich von Experimenten mit Wasserstoffbomben und es war auch bekannt, dass von den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki radioaktive Strahlung übrig geblieben war. Wenn es regnete, wurde Strontium gemessen. Ich selbst habe eine ablehnende Haltung gegen Atombomben entwickelt. Das war Teil der schulischen Erziehung. Trotzdem habe ich mir nie ernsthafte Gedanken über die Folgen von Atomkraft gemacht.

Wurde die Wirkung der Atombomben mit den Gefahren der Atomenergie zusammengebracht?

Der Musiker: geb. 1959 in Yokohama. Der Gitarrist und Turntablist ist ein renommierter Avantgarde-Musiker, veröffentlichte mehr als 200 Alben, darunter "Plays Standards" mit der Band Ground Zero.

Das Projekt: mit Ryuichi Sakamoto und anderen initiierte Yoshihide das "Project Fukushima", um den Menschen in der Region zu helfen. Am 13. August 2011 organisierten sie ein Festival.

Der Autor: hat mit "Project Fukushima" vier Bücher über Atomenergie veröffentlicht, darunter "Fukushima Kara Hajimeru Nihon" (Die Zukunft Japans nach Fukushima).

Nein. Die Atombombe war ein nationales Trauma. Und wahrscheinlich steckt es noch immer in unseren Köpfen. Niemand spricht gern darüber.

Sie sind in Fukushima aufgewachsen. Können Sie die Gegend bitte ein wenig beschreiben?

Ich bin in der Stadt Fukushima aufgewachsen, sie ist Amtssitz der gleichnamigen Präfektur. Zum Atomkraftwerk ist es von da 60 Kilometer. Die Stadt liegt außerhalb des Sperrgebiets, sie war nicht direkt vom Tsunami betroffen, weil sie im Landesinneren liegt. Die Strahlung ist dort aber auch hoch, wobei der Grad der Strahlung schwankt. Das macht mir Hoffnung. Ansonsten: Fukushima ist eine typische japanische Provinzstadt im Nordosten und weist keine kulturellen Besonderheiten auf.

Diesen und andere spannende Texte zu Fukushima lesen sie in der aktuellen sonntaz vom 10./11.3.2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.

Wurde in der Kulturszene, in der Sie sich bewegen, über Sinn und Zweck der Atomenergie diskutiert?

Die ersten Debatten, an die ich mich erinnern kann, entstanden 1979 im Zusammenhang mit dem Störfall des Kernkraftwerks „Three Mile Island“ in Harrisburg, USA. Vorher war Atomenergie kein Gegenstand öffentlichen Interesses. Erst später, 1986 nach dem GAU in Tschernobyl, habe ich verstanden, dass Kernkraft gravierende Sicherheitsrisiken birgt. Das entsprach auch der allgemeinen Stimmung in unserem Land.

Die Band Kraftwerk etwa veröffentlichte 1975 ein Album namens „Radioaktivität“ und thematisierte die Gefahren der Atomkraft. Gab es Vergleichbares in Japan?

Die japanische Anti-Atom-Bewegung begann erst nach Tschernobyl an Dynamik zu gewinnen. Auch im Musik- und Filmbereich wurde Atomkraft thematisiert, etwa von der Punkband The Stalin. Aber das verebbte wieder.

Was waren Ihre ersten Gedanken nach dem Tsunami und der anschließenden Katastrophe?

Ich war sehr verstört. Auch in Tokio bebte die Erde, mein Haus wurde heftig durchgeschüttelt, alles war durch das Erdbeben verrutscht, aber zum Glück ist nichts eingestürzt. Ich fürchtete, dass ich meine Heimat verlassen muss. Auch in Tokio wurden einige Tage später erhöhte Strahlenwerte gemessen. Und so hatte ich das ungute Gefühl, dass die Massenmedien das wahre Ausmaß verschweigen würden. Besonders im April sorgte dies für ein Ohnmachtsgefühl.

Woran mangelte es am meisten?

An verlässlichen Informationen! Wir misstrauten der Medienberichterstattung. Deshalb habe ich angefangen, zusammen mit Freunden eigene Berichte zu verfassen, die wir im Internet posteten und auf dem unabhängigen Webradio sendeten. Wir haben die Berichte inzwischen auch in Buchform veröffentlicht. Das waren ganz simple Ratschläge und Dossiers, für die wir etwa bei Naturwissenschaftlern nachgefragt haben. Zwei Bücher sind erschienen, ein drittes erscheint dieser Tage, ein viertes ist in Vorbereitung.

Fühlten Sie sich ausreichend von den Behörden beschützt?

Die Behörden waren auf diese Katastrophe unvorbereitet. Das Chaos war vielleicht nicht beabsichtigt. Es hatte den Anschein, als würde uns die hohe Dosis der atomaren Verseuchung in kleinen Dosen mitgeteilt.

Handeln die Japaner ein Jahr nach Fukushima solidarisch?

Man könnte sagen, unser Land ist geteilt. Tokio ist die Demarkationslinie. In Tokio hat sich das Gefühl der Unsicherheit wieder gelegt. Im Nordosten ist der Ausnahmezustand geblieben. Alle Einwohner leben mit dem Geigerzähler. Unmittelbar nach der Katastrophe waren die Menschen in Panik, jetzt sind sie ruhiger und können besser einschätzen, was für sie gefährlich ist. Besonders im Umgang mit Lebensmitteln haben sich die Japaner sensibilisiert. Auch mir ist der Umgang mit dem Geigerzähler vertraut. Angst bleibt, aber die Panik ist verflogen.

Wie haben Sie den Betroffenen geholfen?

Wir haben im August ein Festival in Fukushima veranstaltet mit Konzerten, Kunstaktionen und einem wissenschaftlichen Symposion. Menschen aus ganz Japan haben Tuchquadrate geschickt, insgesamt 6.000 Quadratmeter, die wir zusammengefügt haben, um den Boden unter dem Open-Air-Gelände mit einer Unterlage abzudecken. Es kamen 13.000 Zuschauer, und im Internet haben sich mehr als 250.000 Menschen die Darbietungen angesehen.

Ist Japan noch lebenswert?

In meiner Lebenszeit wird es nicht ins Lot kommen. Trotzdem glaube ich, dass wir den Schaden Stück für Stück wiedergutmachen müssen. Damit nie wieder so eine Katastrophe passiert, bedarf es der Aufklärung, und dabei dürfen wir nicht nachlassen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.