Jahrestagung Kerntechnik: Es könnte alles so schön sein
Auf dem Atomlobby-Forum spricht die Branche viel von Chancen. Arbeitsplätzen. Wissen. Solchen Sachen. Aber gibt es nicht noch ein Monster im Keller?
FRANKFURT taz | Der Branche geht es schlecht. Aber Ralf Güldner strahlt. Normalerweise umgibt ihn der fatalistische Optimismus eines Menschen, der sich von Trotteln umgeben sieht, diesen Trotteln aber ihre Trotteligkeit nachsehen muss wie ein Vater seinem Kind die Angst vor den Monstern im Keller. Auf der Jahrestagung Kerntechnik 2014 aber strahlt Ralf Güldner. Er kennt die Branche seit 1981 von innen, führt stellvertretend die Geschäfte der Sparte Kerntechnik bei Eon und präsidiert nicht nur dem deutschen, sondern auch dem europäischen Atomforum. Er ist das Gesicht der Atomlobby, und Europas wichtigste Konferenz zum Thema ist im Grunde seine Party.
Deshalb zeichnete er in seiner Eröffnungsrede vor rund 1.000 Besuchern ein positives Bild der deutschen Nuklearindustrie. Wie wichtig sie sei im Kampf gegen Emissionen. Wie unverzichtbar sie in geopolitischer Hinsicht und mit Blick auf Russland sei. Arbeitsplätze. Wissen. Solche Sachen. Mit leiser Trauer nur bedauerte er den Ausstieg und verweist lieber auf das Geschäftsfeld hinter dem Geschäftsfeld, nämlich den Rückbau stillgelegter Anlagen.
Weltweit aber gehe es „zum Glück“ nicht nur um Rückbau. Gottlob gebe es andernorts eine ungebremste Nachfrage nach der „Leistungsstärke deutscher Kerntechnik“. Indien! USA! Asien! China, das in nur einem Jahr sieben neue Reaktorblöcke in Betrieb genommen hat. China, das an 28 neuen Blöcke baut. China, das 62 weitere plant. China, das die Auftragsbücher füllt. Sogar in Japan wurde, „nachdem sich die Stimmung ein wenig beruhigt“ habe, wieder Abstand vom Ausstieg aus der Kernenergie genommen.
Nur in Europa, ach, sei die Lage „unsicher und schwierig“. Vor allem in Deutschland. Der Strommarkt am Boden, die Versorgungssicherheit gefährdet, der Wettbewerb mit der Braunkohle wegen niedriger Preise auf CO2-Zertifikate verzerrt. Das Bundesamt für Strahlenschutz? Falsche Personalpolitik. Und der Tanz um die Endlager erst! Schacht Konrad? Belastbar, aber teuer. Gorleben? Belastbar, aber „politisch nicht gewollt“. Natürlich werde die Lobby in der Kommission zur Endlagersuche mitdiskutieren, aber bitte „ideologiefrei“. Bis dahin können wir uns alle warm anziehen und vorbereiten auf den „Grafenrheinfeldwinter 2015“, wenn nach der Stilllegung des dortigen Reaktors die Lichter ausgehen.
Spannend wird die Frage, wer den Rückbau bezahlen muss. Eon, RWE, EnBW und Vattenfall haben zu diesem Zweck aus ihren Einnahmen eigens Rücklagen in Höhe von 35 Milliarden Euro gebildet. Gilt das Verursacherprinzip, sodass die Betreiber die aberwitzigen Kosten übernehmen müssen? Oder setzt sich die Auffassung der Betreiber durch, wonach auch „die Verbraucher“ sich an dieser „gesamtgesellschaftlichen Aufgabe“ beteiligen müssen? Dass die Bundesregierung den Unternehmen hier nicht über den Weg traut, machte unmissverständlich Wolfgang Cloosters in seiner Rede klar.
Der Abteilungsleiter im Bundesumweltministerium forderte, dass die finanziellen Mittel für Stilllegung und Entsorgung „auch dann gesichert zur Verfügung stehen, wenn sie denn gebraucht werden“. Im Namen der Regierung kündigte er an, dass darüber „Gespräche geführt“ werden müssten. Es könnte mit Blick auf die langen Zeiträume sicherer sein, die Ersparnisse den Betreibern zu entziehen und in einem staatlichen Fonds für Rückbau zu bunkern. Auch keine gute Nachricht für die Lobby.
Nukleares Schlaraffenland
Umso erfrischender war da für das versammelte Forum ein Blick über den Kanal. Für die Nuclear Industry Association (NIA) des Vereinigten Königreichs und deren 64.000 Mitarbeiter erzählte deren Chef Keith Parker erbauliche Geschichten aus dem nuklearen Schlaraffenland. Es herrsche gesellschaftlicher Konsens, Britannien „sauber“ und „effizient“ sowie „unabhängig“ mit Atomkraft zu versorgen. Stolz stellte Parker sein Lebenswerk vor, den mit chinesischen Geldern geplanten Neubau von zwei französischen Reaktoren in Hinkley Point C an der idyllischen Küste der Grafschaft Somerset.
Die unternehmerischen Risiken dieses immerhin fast 20 Milliarden Euro verschlingenden Projekts trägt – die Kundschaft. Der Clou besteht in einem sogenannten Differenzkontrakt. Der britische Staat garantiert den Betreibern 35 Jahre lang eine Einspeisevergütung in doppelter Höhe des durchschnittlichen englischen Strompreises – sowie eine finanzielle Entschädigung im Falle einer „marktbedingten“ Drosselung oder Abschaltung des Betriebs. Es könnte also alles so schön sein, wenn nicht ausgerechnet hierzulande die Politiker und Wähler so skeptisch wären.
Wie man so etwas ändern kann, demonstrierte Marielle Rogie aus Belgien. Als geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim belgischen Verband Forum Nucléaire verantwortet Rogie eine aggressive und tendenziöse Öffentlichkeitsarbeit für die Kernkraft. Mit „lustigen“ Aktionen – etwa Aquarien voller fröhlicher Fische in Abwassern von Nuklearanlagen – wurden in einer ersten Stufe die Bürgerinnen und Bürger dazu motiviert, ihre Anliegen vorzubringen. Insgesamt kamen auf diese Weise „ohne Witze, Spam oder Greenpeace“ 2.000 Fragen zusammen, die in der zweiten Stufe von einer Expertenrunde erschöpfend beantwortet wurden. Die dritte Stufe bestand in einer „Humanisierung des Sektors“ mittels kleiner Clips, in denen sich sympathische Beschäftigte der Industrie persönlich vorstellten. Mit dem Ergebnis, dass die Zustimmungswerte für die Atomenergie signifikant anstiegen. Kommentar Güldner: „Vielleicht haben wir verpasst, so etwas in den letzten Jahren zu machen.“
Fukushima und die Camerata Nucleare
Zwar sind die Ingenieure, Experten, Manager und Funktionäre im Laufe von drei trottelfreien Tagen unter sich. Zwar werden sie in 200 Vorträgen erfreulichen Neuigkeiten aus so verschiedenen Bereichen wie Reaktorphysik, Thermodynamik, Zwischenlagerung und Endlagerung von radioaktivem Müll, Fusionstechnologie, Aufbau und Rückbau von Kraftwerken oder Verbesserung von Kühlsystemen lauschen. Nicht ignorieren können sie aber, dass es ein Monster im Keller gibt. Und so besprach gleich am ersten Tag eine hochkarätig besetzte Runde aus Sicherheitsexperten verschiedener Institutionen die „Lektionen“, die die „interationale Gemeinschaft“ gelernt hat, „um ein weiteres Fukushima“ zu verhindern.
Einigkeit herrschte darüber, dass eine „neue Sicherheitskultur“ etabliert werden müsse – mit Transparenz, verbessertem Strahlenschutz, optimierten Kühlkreisläufen und Notstromsystemen, Inspektionen und dergleichen Kosmetik mehr. Überdies müssten „die Orte“ besser angeschaut werden, an denen die Kraftwerke entstünden. Und plötzlich war wieder die Rede von einem „starken Gesetzgeber“, der die Betreiber überwachen müsse. Gefragt, ob „die internationale Gemeinschaft ihre Hausaufgaben gemacht“ habe, schüttete nur Michael Sailer vom Öko-Institut in Darmstadt Kühlwasser in den Wein: „Was sind die Hausaufgaben? Wer ist die internationale Gemeinschaft?“
Von derlei behäbiger Skepsis ließen sich die zupackenden Atomfreunde die Stimmung nicht verhageln. Zumal der Saal sich schon deutlich gelehrt hatte, als es um Fukushima ging. Abends füllte er sich dann wieder, zu den Klängen des „Kammerorchesters der deutschen Energiewirtschaft“. Ja, so was gibt’s. Es war allerdings das Abschiedskonzert der Camerata Nucleare. Der Branche geht es schlecht.
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