Jahrestage in Nordirland und im Irak: Karfreitag und kein Ostersonntag
Die BBC arbeitet die Verstrickung des Geheimdiensts MI6 in den Nordirlandkonflikt und den Irakkrieg auf. Auch US-Regisseur Martin Scorsese ist nicht weit.
M it Terroristen verhandelt man nicht. Das war Premierministerin Margaret Thatchers Mantra. Es ist einleuchtend, denn welcher Staat will sich schon erpressen lassen?
Tatsächlich zeigt die Geschichte jedoch, dass mit Terroristen immer wieder verhandelt wurde, diskret und über Kanäle, die man jederzeit verleugnen konnte. Auch Margaret Thatcher tat es. Ihr bester Mann in Nordirland hieß Michael Oatley.
Wenn demnächst Joe Biden und Bill Clinton in Nordirland das 25-jährige Jubiläum des Karfreitagsabkommens feiern werden, dann müsste eigentlich auch Oatley auf der Bühne stehen. Doch die Arbeit des 87-Jährigen ist mittlerweile in Vergessenheit geraten. Offiziell kam Oatley 1973 zum ersten Mal nach Belfast, als Berater des Ministers für Nordirland. Oatleys wirklicher Auftraggeber war jedoch der britische Auslandsgeheimdienst MI6. Sein Ziel war es, Vermittler zu finden, mit denen man Kontakte zur provisorischen IRA aufbauen konnte. Und Oatley fand sie, obwohl es damals lebensgefährlich war, so einen undankbaren Job anzunehmen.
Einer seiner „Backchannels“ wurde ein Pazifist namens Brendan Duddy (1936–2017). Duddy war nützlich, weil er einen Fish-and-Chips-Laden in Derry besaß, der von einem gewissen Martin MacGuinness (1950–2017) beliefert wurde. MacGuiness wiederum war seit 1972 ein führendes Mitglied der Provisiorischen IRA. Er und seine Freunde vertrauten Duddy.
Aus diesem Grund trafen sich MI6 und IRA-Leute in Duddys engem Wohnzimmer in Derry – mit vielen Unterbrechungen – 20 Jahre lang. Duddy hatte mit Absicht das kleinste Zimmer im Haus für die Besprechungen gewählt, damit sich alle in die Augen schauen mussten.
Zusammengedrängt verhandelten sie über Waffenstillstände und den Abbruch von Hungerstreiks. Duddys Tochter lauschte manchmal an der Tür, aber sie wusste, wie gefährlich es gewesen wäre, mit jemanden in der Schule darüber zu sprechen.
Eine brutalisierte Zivilbevökerung
Kidnappings, Folter und Erschießungen erschütterten während der „Troubles“ Nordirland und sorgten dafür, dass auch die Zivilbevölkerung brutalisiert wurde. Gegen alle Erwartungen legten Oatley, Duddy und McGuinness mit den Wohnzimmergesprächen trotzdem die Grundlage für den Waffenstillstand von 1994. Vier Jahre später konnte Premierminister Tony Blair das Karfreitagsabkommen zwischen Großbritannien und den Parteien Nordirlands und der Republik Irland abschließen. Er ist bis heute stolz darauf.
Doch ein paar Jahre später ruinierte Toni Blair seine Reputation beim Ausbruch des Zweiten Irakkriegs unwiderruflich. Und dieses Mal versagte auch der Geheimdienst MI6. Während Oatley wichtige Friedensarbeit in Nordirland geleistet hatte, geschah jetzt das Gegenteil. Sir Richard Dearlove, Chef von MI6, versorgte Blair mit einem Kriegsgrund, um im Irak einzumarschieren – dem „September Dossier“ über Saddam Husseins angeblichen Besitz von Massenvernichtungswaffen.
In der BBC-Radiosendung „Shock and War“ kommen zum 20. Jahrestag des Kriegsausbruchs jetzt viele der damals Beteiligten zu Wort, darunter auch Dearlove. Er ist sich immer noch keiner Schuld bewusst und wird von Toni Blair in Schutz genommen.
Wir wissen dank dieser Interviews mittlerweile auch, dass die Blair-Leute von Bushs Kriegsidee zwar alles andere als begeistert waren, aber ernsthaft glaubten, durch Kooperation „mäßigenden Einfluss“ auf die Amerikaner ausüben zu können.
Die Zeitzeugeninterviews der Sendung verdeutlichen auch, dass George Bush jr. schon lange vor dem 11. September 2001 einen Regimewechsel im Irak plante. Luis Rueda, damals Chef von CIA’s Iraq Operations Group, sagt dazu: „Wir hätten die Invasion auch gemacht, wenn Saddam Hussein nur ein Gummiband mit Büroklammer gehabt hätte.“ Die Terror-Katastrophe 9/11 wurde dabei sogar als störend empfunden.
Die Mafiafilme des Martin Scorsese
Von den Amerikanern ist das Irak-Debakel nie aufgearbeitet worden, während die Briten die Chilcot-Kommission einsetzten. Ihr Bericht wurde 2016 publiziert und verurteilte Blairs Handeln eindeutig. Bis heute gilt er deshalb als einer der unbeliebtesten Premiers Großbritanniens – trotz des Karfreitagsabkommens.
Auf einen Karfreitag folgt eben nicht immer ein Ostersonntag, wie uns bereits der Regisseur Martin Scorsese gezeigt hat. Scorsese wuchs als Katholik auf und drehte viele brutale Mafiafilme.
Als er Jahrzehnte später seinen alten Priester wiedertraf, musste er sich harsche Kritik anhören: „Deine Filme zeigen zu viel Karfreitag und nicht genug Ostersonntag!“ Scorsese lobte Besserung, aber seine Filme blieben brutal. Es war einfach realistischer.
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