Jahrestag Explosion der Deepwater Horizon: Eine Geschichte der Gier
Vor zwei Jahren explodierte die Ölplattform Deepwater Horizon. Jorey Danos entgiftete das Meer und vergiftete dabei sich selbst. Ob er entschädigt wird, ist fraglich.
BATON ROUGE taz | Sie stehen für die größte Ölkatastrophe in der Geschichte der USA. Die Bilder der brennenden Plattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko zeugen auch von der größten Katastrophe für Keith Jones. Der Anwalt erträgt auch zwei Jahre später ihren Anblick nicht. „Das ist das Grab meines Sohnes“, sagt er und fügt hinzu: „Zumindest das, was einem Grab am nächsten kommt.“
Beerdigt werden konnte Gordon Jones nicht. Der 28-Jährige kam zusammen mit zehn anderen Männern beim Unglück auf der vom britischen Ölkonzern BP genutzten Plattform ums Leben. Sein Körper wurde nie gefunden.
Dabei sollte der Ingenieur nur wenige Tage auf der Bohrinsel der Betreiberfirma Transocean bleiben. Dann wollte er Urlaub machen, um drei Wochen später die Geburt seines zweiten Sohnes zu erleben. „Er muss sofort tot gewesen sein“, tröstet sich sein Vater. Der 61-Jährige versinkt müde im schweren Ledersessel hinter seinem Schreibtisch, er redet leise und gefasst. „Ich schlafe nicht mehr gut“, sagt Jones.
Ihn plagt die Erinnerung an den Nachmittag des 20. April 2010, an dem er hier in seiner Kanzlei am Rande von Louisianas Hauptstadt Baton Rouge saß. Warm wie heute war es und die Klimaanlage surrte. „In den Nachrichten hieß es, da draußen sei etwas auf einer Bohrinsel passiert.“ Dann der Anruf seiner Schwiegertochter, der ihr aller Leben veränderte.
Von BP hat sich niemand gemeldet
„Bis heute“, sagt Jones, „zwei Jahre nach dem Unglück, hat nicht ein einziger Repräsentant von BP unserer Familie sein Beileid darüber ausgedrückt, dass Gordon auf der Bohrinsel sein Leben ließ. „Kein Brief, keine Karte, kein persönliches Wort.“ Auch nicht, als Jones den BP-Repräsentanten wenige Wochen später bei der ersten Anhörung vor Gericht gegenüberstand. Als Vertreter von rund 100.000 Klägern. „Gordon“, sagt er, „war der einzige der elf Getöteten, der einen Schadensanwalt zum Vater hat.“ Und der hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte aufzuklären.
„Eine Geschichte der Gier“, nennt Jones sie. „Gier war der Grund für jede Fehlentscheidung, die zu der Explosion geführt hat“, meint der Jurist. „Bei allen Entscheidungen, die BP danach gefällt hat, ging es um dasselbe: Geld.“ Beileidskarten, sagt Jones, nutzen dem Ölkonzern nicht so wie öffentlichkeitswirksame Werbefilme über die Effizienz der Aufräumarbeiten. Filme, in denen muntere Fischreiher und wogende Sumpfgräser für die intakte Natur einer Region werben, in der BP längst wieder nach Öl bohren darf.
„Wenn ich diese Filme sehe, wird mir schlecht“, sagt Kim Chauvin, die mit ihrem Mann einen Shrimpbetrieb im Marschland führt. Zwischen wogenden Gräsern liegt ihr Dock mit den Bürocontainern idyllisch in der Sonne. Ein paar Angler haben ihre Ruten ausgeworfen. Vögel zwitschern. Äußerlich deutet nichts auf das Desaster hin. Doch immer wieder berichten Meeresbiologen davon, dass Ölklumpen an den weißen Stränden Louisianas landen. Verkümmerte Fische und Korallen sowie kranke Delphine geben den Forschern seit dem Desaster Rätsel auf.
„Nichts ist wie früher. Erst recht nicht der Ruf unserer Krabben“, sagt Chauvin. Nach monatelangem Fischereiverbot und herben Absatzverlusten wegen der ölverschmutzten Küste kam der nächste Schlag für die Shrimper-Familie. „Sie haben unsere Boote zwei Monate lang für die Ölreinigungsaktion auf See genutzt“, sagt sie. „Jetzt wollen sie uns nur ein paar Tage dafür zahlen.“ Ihre Rechnung pralle beim Konzern regelmäßig ab. „Dreizehn Mal haben sie den ganzen Papierkram angeblich schon verloren.“ Sie habe die ganzen Formalitäten wieder und wieder stoisch erledigt, berichtet die Kleinunternehmerin. „Du kannst nichts tun, als es mit Humor zu nehmen, sonst wirst du verrückt.“
Vorläufiger Vergleich
Chauvin hofft, dass sie nun von der im März verabschiedeten Einigung profitieren wird, die ein Gericht in New Orleans derzeit noch für gültig erklären muss. Die Anwälte von rund 100.000 Klägern einigten sich mit dem Ölkonzern auf einen Vergleich von 7,8 Milliarden US-Dollar. Das Geld soll aus einem 20-Milliarden-Fonds zur Bewältigung der Ölpest kommen, den BP bereitgestellt hat. Der Vergleich, der noch endgültig besiegelt werden muss, soll wirtschaftlich und gesundheitlich geschädigten Ölopfern zugutekommen.
Opfern wie Jorey Danos zum Beispiel. Sein Katastrophensouvenir hütet der 32-Jährige in einem Marmeladenglas. Ein Totenkopf ziert die braune Masse darin. „Das ist Öl, das ich nach der Explosion der ’Deepwater Horizon‘-Plattform aus dem Golf gefischt habe“, erklärt er. Danos half, es unsichtbar zu machen – und wurde dabei ein körperliches Wrack. „Mit 32 gehe ich am Stock“, sagt der von Krankheit gezeichnete Mann und sitzt auf dem Sofa des Wohnwagens, den er sich mit Frau und drei Töchtern im sumpfigen Örtchen Chackbay teilt.
Auf seinen dünnen Knien hält er einen Laptop, aus dem würgende Geräusche kommen. Das von seiner Frau gefilmte Video zeigt Danos, wie er sich zitternd in Krämpfen auf dem Boden windet, die Augen verdreht. „So fing es an, im vergangenen August“, erinnert er sich. Epileptische Anfälle, Angstzustände, Husten, Gewichtsverlust waren die Symptome. „Ich wurde so paranoid, dass ich meine Kinder nicht aus dem Wohnwagen lassen wollte.“ 40 Pfund habe er in vier Wochen verloren. Die ärztliche Diagnose: Vergiftung.
Danos hat es schwarz auf weiß in den Laborbefunden seiner Bluttests. Benzol, Ethylbenzol, Hexan – sie lesen sich wie ein Chemiebuch. „Alles Chemikalien, deren organische Bestandteile auch in Corexit und Rohöl zu finden sind. Und sie fließen durch meinen Körper, während wir miteinander sprechen.“
1.000 Kilometer Küste waren bedroht
Corexit, so heißt die Chemikalie, die BP einsetzte, um den schwarzen Schmierfilm im Golf von Mexiko aufzulösen. Nach der Explosion der „Deepwater Horizon“ bedrohte die schwarze Pest mehr als 1.000 Kilometer Küste. 88 Tage dauerte es, bis die Macondo-Ölquelle in der Tiefe endlich dicht hielt. Da waren bereits rund 780 Millionen Liter Öl ausgeströmt. Die Küsten von fünf US-Staaten wurden verseucht, ihre Natur, die Fischindustrie und der Tourismus massiv geschädigt.
Danos war einer von rund 48.000 Helfern, die gegen das Öl kämpften. Auf einem Kutter engagierte ihn BP, um gerade mal zwölf Kilometer vom speienden Bohrloch entfernt den Schmierfilm mit Sperren einzudämmen. 300 Dollar am Tag versprach das Lockangebot für den Gelegenheitsarbeiter. Der Traum vom großen Geld habe ihn die Widrigkeiten ertragen lassen. Vier Monate lang.
„Vier Mal sind wir da draußen von Flugzeugen mit Corexit besprüht worden“, sagt Danos. Die Schutzkleidung sei unzureichend gewesen. „Wir sollten keine Atemmasken tragen, um nicht aufzufallen.“ Das Lösungsmittel Corexit sei harmloser als Geschirrspülmittel, habe es geheißen. „Aber wie kann das sein, wenn meine Mutter ihr Leben lang Geschirr gespült hat, ohne solche Ausschläge zu bekommen?“
Der britische Ölkonzern hat darauf keine Antwort. „Die Kontrolldaten von Regierungs- und privaten Quellen sind ein überwältigender Beleg dafür, dass die Reinigungsarbeiter und Golfanrainer nicht Öl oder Lösungsmitteln ausgesetzt waren, deren Werte über den besorgniserregenden Grenzen lagen“, erklärt eine Sprecherin. Nichtsdestotrotz habe der Konzern mit der jetzigen Einigung Kompensationszahlungen zugestimmt.
Schwierige Beweislage
Doch Dorey Danos ist nicht der Einzige mit diesen Problemen. Viele Helfer berichteten nach der Ölsäuberungsaktion von ähnlichen körperlichen wie psychischen Symptomen. Danos bezahlte selbst den Arzt, der ihn entgiftete. Schwach fühle er sich immer noch. Spastische Anfälle habe er nach wie vor. Seinen Job in der Fabrik hat er verloren und damit auch die Krankenversicherung. Das Ersparte ist aufgebraucht. „Ich habe drei Töchter unter 14 Jahren“, so der Vater. „Werde ich sie eines Tages zum Altar führen oder ihnen das College finanzieren können?“
Auch die außergerichtliche Einigung tröstet Danos nicht. Zumal ihm ein harter Kampf bevorstehen kann, so Rechtswissenschaftler Blaine LeCesne. „Es ist extrem schwierig zu beweisen, dass die Berührung mit dem Öl der Grund für eine chronische Erkrankung ist“, sagt der Professor der Loyola-Universität in New Orleans.
Grundsätzlich ist die Einigung aus Sicht des Schadenersatzspezialisten eine gute Sache. Doch daran, dass der Ölgigant sich aus reiner Menschlichkeit mit den Geschädigten geeinigt hat, glaubt LeCesne nicht. „Sie haben dabei vielmehr an ihr eigenes finanzielles Überleben gedacht: Bei dem Berg von Beweisen, dass sie fahrlässig, möglicherweise grob fahrlässig gehandelt haben, hätte BP leicht das Dreifache zahlen müssen, wäre es zu einem Verfahren gekommen.“
Doch das hätte mancher Geschädigte vielleicht nicht mehr erlebt. Nach der Ölkatastrophe durch den havarierten Tanker „Exxon Valdez“ 1989 in Alaska mussten die Kläger knapp 20 Jahre auf ihre Kompensation warten. BP habe schneller gehandelt, so LeCesne, jedoch nicht aus Humanität. Schließlich gebe es einen gravierenden Unterschied zu der „Exxon“-Katastrophe: „Die war eine Folge menschlichen Versagens. Diese hingegen resultierte aus Fahrlässigkeit.“
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