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Jafar Panahi beim Filmfestival CannesPoesie im Knast

Cannes Cannes 9: Der iranische Regisseur Jafar Panahi zeigt seinen ersten Film seit seiner Freilassung. Mario Martone porträtiert eine schreibende Diebin.

Gebanntes Warten in der Wüste: Szene aus „Un simple accident“ des iranischen Regisseurs Jafar Panahi Foto: Festival de Cannes

Legal kann der iranische Regisseur Jafar Panahi seit Jahren keine Filme mehr drehen. Zudem musste er 2022 eine Haftstrafe antreten, wurde im Jahr danach aber auf Kaution wieder freigelassen. Sein bisher letzter Film im Kino war 2022 „No Bears“. Nun konnte er im Wettbewerb von Cannes sein neues Werk „Un simple accident“ vorstellen, zu dessen Premiere er sogar angereist war.

Panahis erneut ohne offiziel­le Genehmigung entstandener Film beginnt mit einer Familie, die nachts im Auto auf einer unbeleuchteten Straße unterwegs ist. Plötzlich gibt es einen Schlag, ein Hund war vor das Auto gelaufen. Kurz darauf stottert der Motor, der Wagen bleibt liegen. In einer Werkstatt in der Nähe bitten sie einen Mitarbeiter um Hilfe. Als der Betreiber der Werkstatt, Vahid (Vahid Mobasseri), den Vater hereinkommen hört, bemerkt er Quietschgeräusche, die dieser beim Gehen macht, und versteckt sich erschrocken.

Als die Familie mit dem notdürftig reparierten Auto nach Hause fährt, folgt Vahid ihr heimlich. Am nächsten Morgen lauert er dem Mann auf, überwältigt ihn, schlägt ihn bewusstlos und fährt mit ihm im Laderaum seines Transporters in die Wüste. Dort gräbt er ein Loch, in dem er den Mann verscharren will.

Mutmaßlicher Folterknecht

Diese Ereignisse inszeniert Panahi wie bei einem Thriller und lässt einen bis zu diesem Punkt völlig im Unklaren darüber, wer die Protagonisten sind und warum Vahid den Mann entführt. Panahi legt aber ziemlich bald offen, dass es mutmaßlich um einen Folterknecht des Regimes geht, mit dem Vahid abrechnen möchte.

Danach überschlagen sich die Ereignisse, immer mehr Figuren tauchen auf, die früher unter dem Regime zu leiden hatten und in dem gekidnappten Vater einen früheren Peiniger wiederzuerkennen meinen. Mitunter geht es so unerwartet zu wie in einer Situationskomödie, durchaus auch mit komischen Elementen. Doch Panahis Anliegen ist ernst. Die Frage, was man als Zivilist mit einem Schergen des Regimes tut, wenn man ihn in die Finger bekommt, geht er sehr direkt an. Und das so, dass man von dieser Direktheit ziemlich angefasst ist.

Etwas auf Abstand hält dagegen der Regisseur Mario Martone seine Hauptfigur im Wettbewerbsfilm „Fuori“. Er porträtiert darin eine der ungewöhnlichsten Schriftstellerinnen Italiens, die Skandalautorin Goliarda Sapienza. Deren Leben gibt allemal Stoff für eine interessante Geschichte, verbrachte Sapien­za doch einige Zeit im Gefängnis wegen Juwelendiebstahls und hatte Umgang mit ehemaligen Mitinsassinnen des berüchtigten Gefängnisses Rebibbia.

Ziellos durch die Tage driften

„Fuori“ konzentriert sich auf die Zeit nach ihrer Freilassung zu Beginn der achtziger Jahre und die Beziehung zu ihrer jüngeren Freundin Roberta (Matilda De Angelis). Valeria Golino spielt die freidenkerische Intellektuelle Sapienza mit großer Zurückhaltung. Das kapriziöse Verhalten ihrer selbstbewusst anarchischen Freundin erträgt sie stoisch, scheint ziellos durch die Tage zu driften. Immer wieder kommt sie auf ihr Hauptwerk, „Die Kunst der Freude“, zu sprechen, das kein Verleger haben will, weil es zu lang und zu anspruchsvoll sei. Erst nach ihrem Tod veröffentlichte ihr Ehemann das Buch im Eigenverlag.

Gefilmt ist „Fuori“ in klaren Bildern, mit einem behutsam rekonstruierten Rom von vor 45 Jahren. Auch bei der Filmmusik beweist Martone seinen Sinn für untypische Untermalung, diesmal vorwiegend mit Songs des britischen Pop-Exzentrikers Robert Wyatt. Viele Dinge an „Fuori“ sind reizvoll, doch hält Martone seine Protagonistin so zerrissen fragil, dass es unentschlossen wirkt – zumindest wenn man den Film übermüdet des Nachts anschaut.

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