Jämmerlich allein gelassen

Am Stadttheater Bremerhaven zückt Verdis „Don Carlo“ lustlos den Autoschlüssel

Da hätte man doch die neu engagierte Oberspielleiterin des Musiktheaters Jasmin Solfaraghi heranlassen sollen, denn die Inszenierung von Giuseppe Verdis ,,Don Carlo“ – wie die hier gespielte Fassung von 1884 heißt – durch den Intendanten Peter Grisebach ist lustlos und halbherzig ausgefallen. Dass Grisebach noch nie durch originelle Ideen aufgefallen ist, macht nichts, auch für die traditionelle Opernregie gibt es gute Argumente. Aber hier wurde jeder Sänger jämmerlich allein gelassen und schuf die Rolle nach eigenem Gusto und Können.

Da war Don Carlos, der Infant, dem durch die Zerstörung seiner Liebe, den Tod seines Freundes und seinem Ende unter der Inquisition so übel mitgespielt wird. Er steht im immergleichen weißen Hemd meist nur einigermaßen entsetzt da. Wenn er den Degen gegen seinen Vater Philipp II. zieht, ein ungeheures Moment in der Partitur, wirkt es so als zöge er seinen Autoschlüssel. Den sterbenden Freund Posa im Arm, stehen ihm keine Ausdrucksmittel zur Verfügung als den Kopf zu schütteln. Der eigentlich gramgebeugte Philipp II, ebenso mächtig wie ohnmächtig in den Fesseln der Inquisition, hat einen derart schwungvollen Gang, dass der ständig im Widerspruch zu seinem Text steht. Überhaupt Körpersprache: gleich Null.

Aus Michael Kupfer hätte ein großer Posa werden können, aus Heike Grötzinger eine überragende Eboli und aus Melanie Maennl ein anrührende Elisabeth. Alle drei verfügen auch über schauspielerisches und sängerisches Potenzial mit vielen Nuancen – was bei den ungemein schweren Partien einiges heißt. Ulric Andersson als Carlos fehlt Atemstütze, um aus seinem schönen Material den erforderlichen substantiellen Bel Canto-Strom zu erzeugen. John Rath als Philipp mangelt es durchgehend an italienischer Gesangskultur. Der Chor steht meist arrangiert herum, so dass ein richtig gestaltetes Bild wie der Auftritt des Volkes im Autodafé in seinem krassen Naturalismus mit den blutüberströmten Körpern als Fremdkörper erscheint, weil in keiner Weise aus dem sonstigen Stil der Inszenierung entwickelt. Und der Großinquisitor? Natürlich steht in der Partitur: ,,ein blinder Greis von neunzig Jahren“, aber ein so klischeehafter Tattergreis wie hier – das muss nicht sein.

Das durchgehend gleiche Bühnenbild von Christopher Hewitt mit seinen verschiebbaren Säulen von Menschenskeletten bietet viele Möglichkeiten für szenische Konturen, wirkt allerdings etwas zu gestylt. Bleibt die musikalische Wiedergabe, die an diesem Abend die Inszenierung nicht ersetzte, sondern geradezu lieferte. Dem neuen Generalmusikdirektor Stephan Tetzlaff gelang mit einer transparenten, dramatischen, klangintensiven Wiedergabe ganz unfreiwillig ein aktueller kulturpolitischer Beitrag zur Veränderung in der Orchesterlandschaft: B-Orchester, das wird es bald genauso wenig geben wie A-Orchester. Die Frage ist die nach der Leistung im Hier und Jetzt und die war an diesem Abend glänzend, voll untergründiger Spannung, voll zärtlicher Melodien, voll vorwärtstreibender Power. Ute Schalz-Laurenze

Aufführungen: 28.9., 3.10., 12.10. um 19.30 Uhr, 6.10. und 9.10. um 15.00 Uhr. Karten ☎ 0471 - 4 90 01