JOHANN MÜHLEGG: ALS HELD EIN SPANIER, ALS DOPER EIN BAYER: In Wirklichkeit ist er ein Transnationaler
Dummerweise folgt bei doppelter Staatsbürgerschaft eines Olympiasiegers keine doppelte Zählung auf dem Medaillenspiegel der Nationen, so dass die drei Goldmedaillen des Langläufers Johann Mühlegg allein auf dem Konto des Königreichs Spanien verbucht wurden. Was nicht schwer wog, denn „wir“ haben es auch ohne Mühlegg auf Platz 1 geschafft – allerdings bedauerlicherweise nicht aus eigener Manneskraft. Andererseits ist aber auch die Ernüchterung ungeteilt, die sich bei diesen Spielen nach der Aberkennung der dritten Goldmedaille wg. Dopings einstellt. Mit dieser Trauerarbeit müssen sich allein die Spanier befassen, die es trotz günstiger topografischer Bedingungen (Pyrenäen! Sierra Nevada!) seit 1972 zu keinem winterlichen Olympiasieg mehr gebracht hatten.
Spaniens Sportminister, bis dahin nur mit der Naturalisierung kubanischer Sportler befasst, griff mit beiden Händen zu, als Mühlegg nach seinem Dauerzoff mit dem deutschen Langläuferverband bei ihm anklopfte. Der Neuzugang erwies sich als überaus spanisch-nationalbewusst, meisterte – mit leicht bayrischer Grundierung – ohne Schwierigkeiten die zweite Muttersprache, fühlte sich rasch in die Landesmentalität ein („Ich bin Torero und habe einen guten Motor“), ja es gelang ihm sogar nach dem ersten Sieg in Salt Lake City, die rot-gelb-rote Landesfahne kunstvoll zu einer Faja, einer Schärpe, zu binden. Zur königlichen Audienz war er schon nach seinem World-Cup-Sieg gebeten worden. Eine Geste, die Juan Carlos jetzt lieber ungeschehen machen würde.
Bei ihrer Absetzbewegung von Mühlegg können die Spanier darauf verweisen, dass dessen geweitetes Sportlerherz auch weiß-blau schlägt. Er hat nach eigenem Bekunden im Voralpenland seinen Lebensmittelpunkt, unterhält dort eine Pension und unterstützt als CSU-Mitglied warm die Kandidatur Stoibers. Und das Weihwasser, von dem er reichlich Gebrauch macht, wird nicht nur unter Spaniens Himmel verspritzt. So dass das spanische Publikum jetzt mit Recht auf Mühleggs bayrische Sozialisation und die mit ihr verbundenen bekannten üblen Praktiken (olympischer) Meineid, Betrug und Unterschleif verweisen kann. Dort, im zu Deutschland gehörigen Freistaat und nicht im grundehrlichen Spanien, wuchs er heran.
Weiß-Blau und/oder Rot-Gelb-Rot – Tatsache ist, dass Mühlegg vollständig unabhängig von den Sportverbänden, wo sich die nationale Gesinnung konzentriert, agierte. Unerbittlich wachte er darüber, dass kein Funktionär oder Trainer die Arbeit seines Teams „Juanito“ störte, eine ergebene Schar von Technikern, Therapeuten und Tonangebern, auf die sich Mühlegg „100-prozentig verlässt“. Zwar ist der Name „Juanito“ eine Reverenz an die spanischen Fans, aber bei Licht besehen agiert Mühlegg samt seiner multinational zusammengesetzten Truppe als Alleinunternehmer im schwierig zu vermarktenden Langlaufgeschäft. Vor allem läuft er für sich selbst. Haben wir, stets misstrauisch gegenüber der Anmaßung der Nationen, eigentlich daran etwas auszusetzen? CHRISTIAN SEMLER
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