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Izzy fristet ein tristes Dasein

Das Olympiastadion wurde zum Baseballpark, und auch sonst ist ein Jahr nach den Spielen nicht mehr viel übrig von Atlantas olympischem Glanz  ■ Aus Atlanta Thomas Frei

In Downtown, wo vor einem Jahr im Sekundentakt der Eröffnungsfeier der „Jahrhundertspiele“ entgegengefiebert wurde, sind vielerorts die Fenster verrammelt. „To rent“ prangt an den Gebäuden. Vor einem Jahr war ein Großteil der noch nicht der Spitzhacke zum Opfer gefallenen alten Gebäude aufgefrischt worden. Restaurants, Sportartikelgeschäfte, Souvenirshops, auch Boutiquen und Schmuckläden wurden eröffnet – und sind bald danach wieder aufgegeben worden.

Auch in Underground Atlanta, der Unterhaltungsmeile, gibt es schon wieder Lücken. Hier sind die „Olympic Souvenirs“ zu „Olympic Memories“ (sprich: zu Ladenhütern) geworden. Olympische Mützen sind von 14 auf 5 Dollar gefallen, ähnlich sieht es bei den T-Shirts aus. Die einst so begehrten Pins sind für einen Bruchteil von dem zu bekommen, was vor Jahresfrist zu berappen war. Und „Izzy“, das Maskottchen der „Centennial Games“ in Atlanta, fristet kübelweise ein tristes Dasein. Selbst für 25 Cent will es kaum jemand mehr haben. Ebensowenig den „Olympic Lip Balsam“, der mittlerweile statt für zwei für einen Dollar angeboten wird. Und dann kann man gleich fünf davon mitnehmen.

Die olympischen Souvenirs haben Staub angesetzt, das „Original Peachtree Shirt“ hat längst dem mit den Ringen den Rang abgelaufen. Hochkonjunktur hat vor allem das Baseball-Team. „Alles was den Schriftzug ,Braves‘ trägt, findet reißenden Absatz“, klagt Chris mit Blick auf ihre „Olympic Memories“. Aber das sei auch ihr klar gewesen: „Die Games werden gerade mal für vier Wochen eine big party sein.“ Die Spiele der Braves sind es oft dreimal in der Woche.

Von Underground Atlanta wieder ans Tageslicht zurückgekehrt, fällt der Blick immer wieder auf Hinweisschilder mit dem Vermerk: CLOSED. Geschlossen ist nicht nur „Diamon's“, ein im Sommer 96 noch beliebtes Lokal. Closed ist natürlich auch der „Ticket Tower“, der im Vorjahr „generously donated by Delta Air Lines“ errichtet worden war.

Zwei Milliarden Dollar hatte sich „Boom-Town-Atlanta“ die 25. Olympischen Spiele der Neuzeit kosten lassen. Vor allem die Braves haben davon profitiert. Seit April ist das einstige Olympic Stadium ihre neue Heimat. Das für 80.000 Besucher errichtete Stadion wurde zur Baseball-Stätte mit 50.000 Plätzen umgestaltet und ist zu Ehren des Braves-Eigentümers und Medien-Moguls Ted Turner zum „Turner Field“ geworden. Ein Baseball prangt jetzt als Riesenfoto im Eingangsbereich. Klar, daß es kein gewöhnlicher ist, sondern jener, mit dem Hank Aaron seinen „historic 725th homerun“ schlug. Der Originalball und die Mütze, die Aaron bei dem denkwürdigen Ereignis trug, können im angegliederten Museum bewundert werden.

Bei soviel Historie sind Relikte der Neuzeit überflüssig: Der „Centennial Olympic Cauldron“ des Bildhauers Siah Armajani ist kürzlich abgebaut worden. Die eiserne Skulptur mit dem Schriftzug „Atlanta 1996“ und den fünf Ringen, auf der Muhammad Ali am 19. Juli das olympische Feuer entzündete, wurde mit einem Tieflader abtransportiert. Ebenso die rote Schale, aus der die Flamme loderte. Für John am Steuer des schweren Lastwagens war es „ein Job wie jeder andere“. Für Sentimentalität ist im rasch wachsenden Atlanta absolut kein Platz.

Vermutlich wird die Skulptur mit der Schale des olympischen Feuers irgendwo wieder aufgestellt werden, wird am Lesertelefon des Atlanta Constitution versichert. So ganz genau scheint man es noch nicht zu wissen. Dabei sind von der „Corporation for Olympic Development“ gerade 100.000 Dollar zur Verfügung gestellt worden, um die im Stadtgebiet zu den Spielen aufgestellten Skulpturen in den nächsten Jahren pflegen zu können. Derweil sich der „Centennial Park“, Schauplatz des Bombenanschlags während der Spiele, als Dauerbaustelle erweist. Die Pavillons der Sponsoren sind abgerissen worden, und noch immer sind die Bagger tätig, das citynahe Areal neu zu gestalten. „Ob es bis zu den nächsten Olympischen Spielen in Atlanta fertig ist“, fragt süffisant die örtliche Zeitung.

Beim Abreißen sind auch Arbeiter von „Price & Sons“ beschäftigt, wahre Fachleute auf diesem Gebiet. Denn nachdem die Braves ins „Turner Field“ umgezogen sind, muß ihre frühere Heimat, das benachbarte „Fulton County Stadium“, für zusätzliche Parkplätze weichen. Wogegen sich jetzt eine Gruppe gewandt hat, die in Atlanta ein Soccer-Team der Major League ansiedeln will. Die Fußballfans haben den höchsten Gerichtshof angerufen. Obwohl Geld keine Rolle spielen sollte, wenn es um eine neue Sportstätte geht.

Ted Turner, dem auch die Hawks (Basketball) gehören, hat gerade den Zuschlag für ein Eishockey-Team der NHL erhalten. In der Saison 1999/2000 soll erstmals dem Puck nachgejagt werden. Bis dahin wird in Downtown eine 213-Millionen-Dollar- Arena aus dem Boden gestampft.

„Atlanta – The Past, The Olympics and the Future“ überschreibt das Convention & Visitors Bureau eine neue Broschüre. Die Stadt schaut nach vorn. Auch wenn Bürgermeister Bill Campbell die Besucher bei der Ankunft auf dem Flughafen mit dem Schriftzug begrüßt: „Atlanta – a home of the Olympic Games 96.“

Eine Identifizierung der Einwohner Atlantas mit ihren Olympischen Spielen, wie beispielsweise in München, gibt es nicht. Sie können sich jedoch an neu angelegten Parks erfreuen, die Studenten des Georgia Institute of Technology wohnen jetzt im einstigen olympischen Dorf. Und in „The Mansion“, dem über 100 Jahre alten viktorianischen Haus, kann beim Lunch, Dinner oder Sonntagsbrunch wieder die Küche des „Old South“ statt Weißwürste und Weizenbier genossen werden. Die Feste des Sommers 96 im hier eingerichteten „Deutschen Haus“ gehören der Vergangenheit an. Sie werden wie vieles andere eine kurzlebige Erinnerung im schwülwarmen „Hotlanta“ des Big Business bleiben.

Nur einer hält weiterhin standhaft sein Fähnlein für die olympische Idee aufrecht: Bugs Bunny, der Comic-Hase, der unbeeindruckt von allem mit Mohrrübe und Fackel vor dem olympischen Feuer an einem Souvenir-Shop seiner Filmfirma in Underground Atlanta steht.

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