■ Italiens Volk sprach sich für ein neues Wahlgesetz aus: Gute Aussichten für die Mafia
Es sei ganz und gar ohne Häme gesagt: Wie muß es um ein Land stehen, wenn sich alle, auch die besten Kräfte, auf ein neues Wahlgesetz wie auf eine Deus ex machina als die Lösung aller Probleme fixieren? Wenn man dann noch dazunimmt, daß die beabsichtigte Änderung genau in jene Richtung geht, die anderwärts geradezu haarsträubende Ungerechtigkeiten in der Repräsentanz provoziert hat – soeben zum Beispiel in Frankreich achtzig Prozent Sitze für ein Parteienbündnis mit vierzig Prozent Stimmen –, dann muß man sich schon an den Kopf greifen und fragen, wo denn da die Rationalität bleibt.
Neue Gesichter soll das nun erreichte Mehrheitswahlrecht für den Senat bringen, wie immer es konkret auch aussehen wird, wenn sich das Parlament erneut darübergemacht hat. Aber reichen neue Gesichter als solche schon aus, das gigantische Haushaltsloch zu stopfen, die total darniederliegende Administration zum Funktionieren zu bringen, wo es doch kaum irgendwo taugliche Beamte dafür gibt, und den Absatz der produzierten Halden zu gewährleisten, wo auch in allen anderen Ländern die Konjunktur baisst?
Und: Ist das Mehrheitswahlrecht, das am Ende wohl nur doch zwei oder drei große Formationen im Parlament belassen wird, wirklich imstande, die bisherige Korruption, Vetternwirtschaft, das Eindringen von Dunkelmännern zu verhindern? Die Erfahrung spricht schon jetzt dagegen: Kaum ist die Volksabstimmung vorbei, kungeln die vordem als Zerstörer des alten, versumpften Systems aufgetretenen Promotoren der Referenden, vom Radikalen Pannella bis zum DC-Dissidenten Mario Segni, bereits wieder mit den bisherigen Regierungsparteien und der kaum weniger versumpften exkommunistischen „Demokratischen Partei der Linken“ um Allianzen und Ämter. Die oberitalienischen „Ligen“, denen nicht zu Unrecht manch rassistisches Element nachgesagt wird und die die Auflösung des Einheitsstaates zugunsten einer losen Föderation aufs Panier geschrieben haben, sind vom bisherigen Erzfeind plötzlich zu geschätzten Ansprechpartnern ihrer bisherigen geschworenen Gegner geworden: Zeichen, daß man über kurz oder lang auch sie in den „Palazzo“, das Machtkartell einbinden und danach in alter Manier korrumpieren will.
Wo da auch nur der Ansatz eines wirklichen Sanierungsprogramms herkommen soll, ist völlig unklar.
Vielleicht aber nehmen die Dinge bald wieder jene in die Hand, die schon immer besonders behend in der Anpassung an neue Situationen waren: die Dunkelmänner der Mafia und geheimer Logen. Sie sind, wie auch das italienische Innenministerium zugibt, trotz der Schwächung durch die Polizeiaktionen der letzten Monate, noch immer in der Lage, mehrere Millionen Wählerstimmen zwischen Neapel und Palermo zu manövrieren. Überlegt man, daß beim Mehrheitswahlrecht oft gerade mal zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent Wählerstimmen ausreichen, einen Kandidaten ins Parlament zu hieven, stehen die Aussichten nicht schlecht, daß der Deus ex machina nicht von der Squadra der Saubermänner kommt, sondern eher von denen, die sich schon immer Umwälzungen zunutze gemacht haben, ihre bisherige Macht noch weiter zu mehren. Werner Raith, Rom
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