Italiens Flüchtlingslager: Berlusconi stellt Vergleich mit KZ an
Der italienische Regierungschef rückt Flüchtlingsunterkünfte in die Nähe von Konzentrationslagern. Damit will er nur das Abfangen von Immigranten schon vor Libyens Küste rechtfertigen. zu rechtfertigen

ROM taz | Erneut sieht sich Italiens Flüchtlingspolitik heftiger Kritik ausgesetzt. "Ich möchte es eigentlich nicht sagen, aber die Abschiebezentren für die Immigranten gleichen Konzentrationslagern", hielt ein prominenter Kritiker der Regierung vor. Dennoch muss er keine Angst haben, sich wegen des NS-Vergleichs womöglich gar eine Klage einzuhandeln.
Denn der Mann mit den polemischen Ansichten heißt - Silvio Berlusconi. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag, an seiner Seite der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, rechnete Italiens Ausnahmepolitiker mit dem Hang zum offenen Wort mit den unhaltbaren Zuständen in Italiens Abschiebelagern ab: "Eben deshalb hat das Parlament jetzt die Verlängerung der Haftdauer in den Lagern von zwei Monaten auf sechs Monate abgelehnt", setzte Berlusconi nach.
Wahr ist allerdings das Gegenteil. Erst letzte Woche hatte die Regierung - ihr Chef heißt übrigens auch Silvio Berlusconi - per Vertrauensabstimmung die verlängerte Haftdauer nicht etwa zurückgewiesen, sondern mit der Mehrheit der Koalitionsparteien durchgepaukt.
Berlusconi ging es auch gar nicht weiter um die unhaltbaren Zustände in den "Zentren für Identifizierung und Abschiebung". Seine humanitäre Offensive gegen die eigene Politik zu Hause hat ein ganz anderes, offen ausgesprochenes Ziel - die Rechtfertigung der neuen italienischen Linie, die Flüchtlinge direkt vor der libyschen Küste abfangen und gar nicht mehr nach Italien gelangen zu lassen. Das ist nämlich Dienst am Flüchtling. "Es ist wesentlich besser, wenn an den Abfahrtsorten überprüft wird, ob die Flüchtlinge Recht auf Asyl haben. Dies erspart ihnen die Unbill, in Lager gesteckt zu werden, in denen ihre Freiheit eingeschränkt ist, bloß um dann am Ende womöglich in ihre Herkunftsländer abgeschoben zu werden", sagte Berlusconi.
Anders sieht dies weiterhin das UNHCR, das Hohe Kommissariat der UN für Flüchtlinge. Es hatte die neue Praxis der italienischen Regierung als Verletzung internationaler Verträge wie der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 gebrandmarkt.
Diverse Spitzenpolitiker aus dem Regierungslager antworteten daraufhin ihrerseits mit heftigen Ausfällen gegen das UNHCR. "Dumm oder kriminell" sei die UNHCR-Sprecherin in Italien, Laura Boldrini, erklärte etwa der Verteidigungsminister und Ex-Faschist Ignazio La Russa. Außerdem, so La Russa, trage die Boldrini "den Namen eines berühmten Partisanenkommandanten aus dem II. Weltkrieg". Mit jenem Kommandanten ist sie zwar nicht verwandt - doch es ist bezeichnend für das Klima in Italien, wenn ein an die Regierung gelangter Faschist angebliche Verwandtschaftsverhältnisse zu einem antifaschistischen Widerstandskämpfer in den Rang eines Makels befördert. La Russa fasste schließlich zusammen: Einen feuchten Kehricht" interessiere ihn die Kritik des UNHCR.
Ihm sprang Maurizio Gasparri bei, Fraktionsvorsitzender der Berlusconi-Partei "Volk der Freiheit" im Abgeordnetenhaus, der befand, ihn schere die Kritik "kein bisschen". Die UNO solle sich lieber um Diktatoren wie Irans Ahmadinedschad kümmern. Eben dies tut die UN-Agentur. Eines ihrer Hauptargumente ist die katastrophale Menschenrechtssituation in Gaddafis Libyen. Dort werden die auf dem Meer aufgegriffenen Flüchtlinge ohne jede zeitliche Begrenzung in Lager gesperrt, misshandelt, vergewaltigt.
Dass Italiens Linie deshalb Gefahr läuft, spätestens vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu scheitern, ist mittlerweile offenbar auch der Regierung in Rom bewusst. Innenminister Roberto Maroni versucht die libysche Regierung davon zu überzeugen, dem UNHCR in Zukunft die Prüfung von Asylanträgen auf libyschem Boden zu ermöglichen.
Die Flüchtlinge mit positivem Bescheid sollen dann Richtung Norden reisen dürfen. Allerdings nicht mehr (nur) Richtung Italien. Die Regierung in Rom drängt jetzt auf eine "europäische Lösung": Alle Länder der EU sollen verpflichtet werden, Flüchtlinge aufzunehmen. Solange diese Lösung nicht steht, hält Italien jedoch an der Deportierungspolitik Richtung Libyen fest.
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