Italien vor den Wahlen: Die Pseudo-Frauenversteherin
Die Rechtsextremistin Giorgia Meloni könnte die erste Ministerpräsidentin Italiens werden. Doch die Situation der Frauen würde sich verschlechtern.
D ie Feministinnen haben sie lange erwartet, die erste Ministerpräsidentin Italiens, die erste Frau an der Spitze eines Landes, wo das Patriarchat noch stark verwurzelt ist. Und nun ist sie aller Wahrscheinlichkeit nach da: Giorgia Meloni, 45 Jahre alt, in der Politik seit ihrer Jugend, Vorsitzende einer rechtsradikalen Partei namens Brüder Italiens (Fratelli d'Italia), die immer noch die Flamme der Neofaschisten im Logo trägt.
Sollten sich die aktuellen Umfragen bestätigen, könnte die erste Regierungschefin nicht aus den Reihen der Sozialdemokraten oder der moderaten Konservativen kommen, sondern ausgerechnet aus einer postfaschistischen Partei. Woraufhin in Italien eine Debatte entbrannte: Sind vielleicht die Rechten feministischer als die Linken?
Zugegeben, die italienischen Sozialdemokraten haben in den vergangenen Jahren viel verschlafen. Sie haben Meloni unterschätzt, auch als Frau, und Diversität nicht als Priorität gesetzt. Laura Boldrini, ehemalige Präsidentin der Abgeordnetenkammer, sagte einmal über ihre Partei, die Partito Democratico: „Die Strömungen zermalmen die Protagonistinnen und verhindern den Wandel.“
Und dennoch ist die Frage, ob die Parteien der Rechtskoalition feministischer seien als die anderen, falsch gestellt. Wer sich ausschließlich auf die Anzahl der Frauen konzentriert, der reduziert den Feminismus auf eine einfache Rechnung. Die Präsenz von Frauen an der Spitze hat eine wichtige Funktion, um Änderungen anzustoßen und hartnäckige Vorurteile abzubauen, dennoch geht es dem Feminismus primär nicht darum, die Macht zu ergreifen, sondern die Gesellschaft im Sinne der Frauen und der Benachteiligten zu verändern. Die Frage sollte also lauten: Wird sich Wahlfavoritin Giorgia Meloni für die Rechte der Frauen stark machen? Nein, wird sie nicht.
Francesca Polistina ist eine italienische Journalistin, die in Deutschland lebt. Sie schreibt für verschiedene Medien und befasst sich hauptsächlich mit italienischer Politik und Gesellschaft. Zuvor hat sie bei einer italienischen Lokalzeitung gearbeitet und in München, Dresden und Brüssel Journalismus und Romanistik studiert.
Giorgia Meloni thematisiert häufig ihr Frausein und noch häufiger ihr Muttersein. Sie erzählt von ihrer sechsjährigen Tochter, deren Name mittlerweile jeder kennt, und von den Sorgen, die viele Frauen mit Kindern erleben. Sie spricht offen von den Schwierigkeiten, Beruf und Familie zu kombinieren, und von den Schuldgefühlen, wenn sie im Wahlkampf ihrer Tochter zu wenig Zeit widmet. Sie postet in den sozialen Medien die Cupcakes, die sie für den Kindergeburtstag backt, und erklärt einem Frauenmagazin, dass sie auf keinen Fall auf ihre Mutterrolle verzichten wird, sollte sie Ministerpräsidentin werden, denn „Frauen organisieren sich immer“.
Man möchte Meloni nun erwidern, dass es natürlich nicht stimmt, dass Mütter es immer schaffen, sich zu organisieren, und das ist eben das Problem – gerade in einem Staat wie dem italienischen, der Mütter und Kinder nicht ausreichend unterstützt und der von Vätern keine Care-Arbeit erwartet. Meloni sollte das wissen, aber noch besser weiß sie, dass die von ihr propagierte „Solidarität unter Mamas“ ein Mitgefühl schafft, das man in diesem Wahlkampf sonst vergebens sucht.
Ihr Fall erinnert stark an Marine Le Pen: Auch sie wirbt mit Frauenthemen um Wählerinnen, aber auch sie lehnt in Wirklichkeit Gesetzentwürfe ab, die Frauen mehr Rechte geben würden. Und auch sie nutzt den feministischen Diskurs, um Rassismus und Homo- und Transphobie zu verbreiten – indem sie beispielsweise jeder Gewalttat gegen Frauen, die von Migranten verübt wird, eine enorme Aufmerksamkeit schenkt.
Giorgia Meloni ist gegen die Frauenquoten, die vor zehn Jahren in den Aufsichtsräten eingeführt wurden, und möchte sie abschaffen. Im Europäischen Parlament hat ihre Partei gegen den Vorschlag zur Verringerung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles, also des Gender-Pay-Gaps, gestimmt. Und dann ist da noch das Thema Schwangerschaftsabbruch, gegen den viele rechtsgeführte Regierungen agitieren: Meloni sagt, sie will nicht die Abtreibungen verbieten, wohl aber Maßnahmen fördern, die Frauen von dieser Entscheidung abbringen können.
Welche diese Maßnahmen sind, hat sie der katholischen Zeitung Avvenire erzählt – etwa die Einrichtung eines Fonds für ungewollt Schwangere und die Unterstützung von Abtreibungsgegnern und deren Beratungsstellen.
Erschwerter Zugang zu RU486
In der Vergangenheit hat sich Meloni für die Abschaffung der vor zwei Jahren eingeführten Richtlinien zur Anwendung der Abtreibungspille RU486 ausgesprochen, die besagen, dass sie bis zur neunten Schwangerschaftswoche (und nicht mehr nur bis zur siebten) zugelassen und keine stationäre Krankenhausaufnahme mehr vorsehen – genau wie in den meisten europäischen Ländern. Den italienischen Frauen, die ungewollt schwanger werden, würde also ein schwierigerer Zugang zum Schwangerschaftsabbruch drohen; in der mittelitalienischen Region Marken, wo die Partei an der Regierung sitzt, ist das bereits der Fall.
In wenigen Jahren hat Meloni es geschafft, ihre Partei präsentabler und salonfähiger zu machen. Sie hat den Anti-EU-Kurs abgeschwächt und sich für die Nato und für Waffenlieferungen an die Ukraine klar ausgesprochen, anders als ihr möglicher Koalitionspartner Matteo Salvini von der Lega. Sie hat sich gezielt einem gemäßigteren Publikum gewidmet und hat wie Marine Le Pen ein Restyling betrieben, das allerdings mehr Schein als Sein ist. Die italienischen Journalisten nennen es die Metamorphose der Giorgia Meloni, und manche scheinen dabei zu vergessen (oder bewusst zu ignorieren), dass ihre Partei aus der neofaschistischen Bewegung stammt.
Doch kann man ignorieren, dass sie von Mussolini genutzte Slogans wie „Gott, Vaterland, Familie“ immer noch verwendet? Kann man ignorieren, wenn sich Meloni im Wahlkampf als die Frauenversteherin von nebenan gibt, die das faschistische Frauenbild der katholischen Hausfrau und Mutter propagiert? Eines ist bereits jetzt schon klar: Durch sie wird Italien für Frauen ein schlechterer Ort.
Francesca Polistina ist eine italienische Journalistin, die in Deutschland lebt. Sie schreibt für verschiedene Medien und befasst sich hauptsächlich mit italienischer Politik und Gesellschaft. Zuvor hat sie bei einer italienischen Lokalzeitung gearbeitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga